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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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meinte, wußte ich. Aber was bedeuteten die Mondfischbrüste in Karls Gedichten? Warum saß er und las Gedichte vor, die er geschrieben hatte, wo ich doch kein Wort verstand?
    Glaube mir, das Leben kann schön sein, sagte Karl und las und las. Er war sechs Jahre älter als ich, wie Rolf, und ich wollte alles glauben, was ältere Menschen mir sagten. Denn mit achtzehn begann ich eine Traurigkeit zu spüren, von der ich nicht wußte, woher sie kam, und ich besuchte Karl, um ihm das zu erzählen. Er machte ein ernstes Gesicht, ignorierte die heißen Maroni, die ich mitgebracht hatte, holte maschingeschriebene Manuskripte aus seinen Laden, und dann las er diese Gedichte vor. Es waren auch Fremdwörter drin, die ich nicht verstand, aber ich wagte nicht zu fragen, denn Karl nahm mich ernst, und wir saßen einen ganzen Nachmittag nebeneinander. Ich begann mich zu schämen für das Bedürfnis, das ich gleich beim Eintreten gehabt hatte: Karls Nacken zu berühren, irgend etwas geschehen zu lassen zwischen ihm und mir, und es war, je länger er las, nicht mehr so angenehm, Körper an Körper zu sitzen. Vielleicht war ich ihm zu jung. Ich, als Dame, konnte ihn nicht einfach küssen. Das erzählte ich dann Rolf, und Rolf berührte meinen Nacken, anstatt mir auf meine Fragen über Karl etwas zu antworten, und dann geschah es mit Rolf, und ich hatte guten Grund, diesen Karl zu verachten mit seinen Mondfischbrüsten. Und so ist es vielleicht gekommen. Rolf lachte mit, als ich anfing, über Karl zu lachen. Das verband uns.
    Alles war einfacher mit Rolf. Die Schaffnerinnen in den Straßenbahnen waren freundlicher, wenn ich mit Rolf einstieg. Wenn ich mit Rolf ins Theater ging, lächelten die Billeteure. Wenn die Traurigkeit wiederkam, sagte Rolf, das sei auf meine Unsicherheit zurückzuführen. An den Nachmittagen, die ich weinend auf dem Sofa verbrachte, während Rolf seine Schrauben zeichnete, tröstete mich dieser Anblick personifizierter Nützlichkeit. Wenn er fertig war mit dem Zeichnen, setzte er sich zu mir und war meine Mutter. Er sprach von den angenehmen Seiten des Jahrhunderts, in dem wir leben, schaltete das Radio ein, bis die richtige Musik kam, war froh, wenn ich die letzten Tränen schluckte und sagte, daß mich das Leben jetzt wieder gepackt habe, und ich sagte ihm nicht, daß die Musik das bewirkte, nicht er. Denn er freute sich ja, wenn ich mich freute, und wenn ich ihm aus meinem Tagebuch vorlas, daß meine ganze Haut schmerzte vor Sehnsucht nach seiner Haut, da sagte er, daß er mit mir und mit keiner anderen Frau Kinder haben wolle. Es war alles in Ordnung mit Rolf. Und wenn die Traurigkeit wiederkam, sagte er, das sei vielleicht eine vererbte Neigung zur Schwermut, und damit habe man sich abzufinden.
     
     
    Hochzeitsreise findet statt wie geplant. Eine Fahrt in den Süden. Es wäre unmöglich gewesen, die Hochzeit abzusagen, da doch die Einladungen gedruckt waren. Noch dazu so schöne. Doppelseitige, auf- und zuklappbare Karten. Die Hochzeit absagen, das wäre ja so, als müßte man ein Begräbnis absagen, weil der Tote auf einmal nicht gestorben ist. Da hat man schon getrauert, und jetzt soll man sich wieder freuen? Natürlich fahren wir nach Italien. Lago di Garda. Knisternde Säckchen füllte ich mit Kieseln, es ist lange her, damals mit Vater und Mutter, als wir in Riva übernachteten, da wurden am Abend Schafe durch die Stadt getrieben, die kleinen Zuckersäckchen waren es, aus dem Kaffeehaus, jetzt weiß ich es wieder, und Mutter hatte mahagonirotes Haar, sie bückte sich, laß endlich die Kiesel, sagte Vater, laß doch das Kind spielen, sagte Mutter. Vielleicht hat Mutter mich zu sehr verwöhnt? Und die Geschichte mit dem Schwimmreifen. Ich wollte unbedingt einen haben. Vater redete nichts mehr mit Mutter und mir. Aber ich bekam den Schwimmreifen. Dann wollte ich ihn nicht mehr und warf ihn weg. Aber Rolf ist kein Schwimmreifen. Er hat sensible Magennerven und übergibt sich nach dem Frühstück. Es kann daher kommen, daß er die Zahnbürste zu tief in den Mund steckt. Nein, sagt er, wenn du es wissen willst: Mir war schon die ganze Nacht schlecht. Bist du krank? Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen! Fahren wir zurück? Das würde dir so passen, sagt er. Man kehrt nicht um auf einer Hochzeitsreise.
    Während Rolf nicht schlafen konnte, träumte ich, daß der Standesbeamte zu mir sagte: Sie können nicht heiraten, warten Sie einen Augenblick! Er kam und wollte mir einen Stachel aus der Armbeuge
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