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Das Grab des Tauren

Das Grab des Tauren

Titel: Das Grab des Tauren
Autoren: Hugh Walker
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1.
    »Mythor!«
    Nottr starrte ungläubig auf die Gestalt, die in Reichweite seiner Hände in der fahlen Düsternis des Verlieses stand. Einen Atemzug lang vergaß er seine verzweifelte Lage, die Unmenschlichkeit der Dämonenstadt und ihrer Kerker, in denen er mit seinen Gefährten gefangen war.
    Dann wallten alte Gefühle auf und er griff mit beiden Händen nach Mythors Schultern…
    Und durch sie hindurch.
    »Ein Zauber!« entfuhr es ihm. Es war ein Aufschrei halb von Wut und halb von Schmerz. »Imrirrs Fluch über diese Teufel! Nur ein Zauber…!«
    Er wich zurück an die niedrige kalte Steinwand.
    »Mythor«, flüsterte er, denn es überkam ihn plötzlich der Gedanke, daß es vielleicht gar kein Zauber der Caer und ihrer Dämonen war, sondern einer der Kräfte des Lichtes, denen Mythor diente.
    Die Gestalt lächelte jungenhaft. Das vertraute Gesicht war ihm zugewandt, doch die Augen blickten durch Nottr hindurch. Mythor hörte ihn nicht und sah ihn nicht.
    Nottr starrte hilflos auf die Erscheinung, die hier war und doch nicht hier. Zeigte ihm der Zauber nur etwas, das in weiter Ferne geschah? Oder wollte ihm Mythor etwas sagen?
    Calutt, der Schamane, hätte es deuten können. Aber Calutt war irgendwo in diesem steinernen Berg, der Gianton hieß, ebenso begraben wie Nottr.
    »Calutt!« brüllte Nottr, aber die steinernen Wände verschlangen die ganze Kraft seiner Stimme, und die Faust, mit der er gegen den Stein schlug, blutete, aber von jenseits kam keine Antwort.
    Mythor lächelte unbeeindruckt, und Nottr in seiner Enttäuschung und Bitterkeit verfluchte selbst ihn bei allen Barbarengöttern. Aber alle Flüche erweckten Mythor nicht zu wirklichem Leben.
    Nottr empfand plötzlich Furcht vor der gespenstischen Erscheinung seines einstigen Gefährten.
    Wollten sie ihn mit diesem Abbild foltern? Wollten sie dunkle Schatten über seinen Verstand bringen?
    Aber dann sah er, daß es ein Mythor aus alten Tagen war – so wie er sich an ihn erinnerte!
    Es war eine Erinnerung!
    An den Süden – an Tillorn.
    An Lerreigen, den Rotbart; an Sadagar, den Steinmann; an Luxon; an Kaschkas und die Cirymer; an Olinga…
    Olinga! Ihr Götter! Wie lange lag das zurück? Nicht einmal zwei volle Jahre. Wieviel hatte er verloren in dieser Zeit! Wie wenig gewonnen!
    Nein, es war nicht recht, auf diese Weise mit den Göttern zu hadern. Er hatte gute Gefährten und Verbündete gefunden und hatte übermächtige Gegner bezwungen. Er war kein Wildländer mehr. Er war ein Wanderer geworden. Nur so hatte er einen Kampf auf sich nehmen können, für den der Arm und der Verstand eines Wildländers nicht genug Rüstzeug waren. Aber trotz aller siegreichen Scharmützel endete dieser Kampf nun hier, in den steinernen Kerkern von Gianton.
    Er verdrängte die Gedanken an die Vergangenheit. Bei Imrirr! Noch war Leben in ihm! Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf die Erscheinung, die plötzlich zitterte und sich wand und auseinanderriß, als zerrten unsichtbare Hände an ihr.
    »Mythor!« entfuhr es Nottr. Er streckte beschwörend die Hände nach ihm aus.
    Einen Augenblick lang war es, als hörte die Erscheinung ihn und suchte an ihm Halt. Aber dann griff die fahle Helligkeit nach ihr, die in diesem steinernen Gefängnis allgegenwärtig war, und verschlang sie.
    Nottr sank enttäuscht zurück. Er fühlte Bitterkeit und Müdigkeit und Verlassenheit. Die instinktive Furcht des Wildländers war lebendiger denn je in ihm, trotz aller Erfahrungen – die Furcht vor den jenseitigen Kreaturen, die von den Lebenden Besitz ergreifen mochten. Hier war er eingeschlossen von ihnen. Es gab nicht einmal eine Wand, der er den Rücken zuwenden konnte, denn selbst der Stein war ein Stoff, der der Finsternis diente. Und in Gianton gab es nur Stein.
    In der fahlen Düsternis der Felsenkammer formte sich eine neue Erscheinung – die unverkennbare Gestalt des Steinmanns, und die Erinnerungen an ihn wärmten Nottres Herz.
    Aber die Umrisse blieben undeutlich und wogten und nahmen Olingas Gestalt an und weckten übermächtige Gefühle in Nottr. Doch auch Olingas Gestalt blieb nur ein paar Atemzüge lang, dann formte sich erneut Mythors Bildnis und wurde klar und deutlich.
    Es war ein anderer Mythor, einer aus einer älteren Erinnerung, als er an der dandamarischen Küste furchtlos an Land watete, wo Nottres Reiterschar auf ihn wartete, um ihn zu Tode zu hetzen.
    Unglaublich klar war dieses Bild, daß Nottr atemlos starrte. Er war nun sicher, daß die schwarze Magie
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