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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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ich uns so ansehe. Was ist denn los mit uns, fragt Rolf, warum beziehst du mich denn ein in deine Stimmungen? Ich genieße doch diese Reise!
    Das wird auf den Fotos zu sehen sein, später, wenn wir das Album durchblättern und herzeigen, dann werden wir begreifen, daß wir eine schöne Hochzeitsreise hatten wie jedes vernünftige Paar. Von außen sehen wir auch ganz normal aus. Sonne und Meer, wie das glitzert, die weißen Hotels, die durchsichtigen Steine, die roten Papierkörbe. Rolf hält das Auto an, um die Asche in so einen Papierkorb zu leeren. Ich möchte mit jemandem sprechen können, ohne zurechtgewiesen zu werden. Mit dem Papierkorb! Mich auf die Straße legen und mit der Straße reden. Hör doch auf zu weinen! Es tut mir gut, Rolf. Dann weine, wenn es dir guttut. Aber weine nicht endlos, sagt er, du bist schon ganz verschwollen! Ich denke, daß der menschliche Körper zu einem hohen Prozentsatz aus Wasser besteht und daß man sich vielleicht fortweinen kann, und Kleider, Schuhe, Handtasche und alles, was als Wertgegenstand bezeichnet werden muß, das bleibt dann auf dem Autositz zurück, und Rolf kann es einsammeln, und es gibt für ihn keine Mißverständnisse mehr.
    Vielleicht hast du dich immer für etwas Besonderes gehalten, sagt er, du wurdest ja von deinen Eltern verwöhnt, deine Kindheit war glücklich, das Leben ist also nicht so, wie du es dir vorstelltest, und jetzt hast du eben Schwierigkeiten.
    Ich war ein besonderes Kind. Ich trug einen grünen Mantel mit runden Knöpfen, wir gingen einen grünen Weg entlang, Mutter und ich, in ein Haus zu anderen Leuten, mit kleineren Fenstern, es waren ärmere Menschen, die sofort erkannten, daß es eine Ehre war, Mutter und mich empfangen zu dürfen, weil wir zu Vater gehörten, und Vater war der wichtigste Mann in der Stadt, er machte alle Leute gesund, er rettete vielen Menschen das Leben. Die Menschen wurden in zwei Gruppen geteilt: unsere Patienten, die guten, und nicht unsere Patienten, die schlechten. Ich wußte, daß es außer Menschen auch noch etwas anderes gab, die Ärzte, und meine Freundinnen waren Arztkinder, wir fuhren auf Ärztekongresse nach Italien, und es war etwas Besonderes, Ohrenschmerzen zu haben, weil Vater dann in seinem weißen Mantel aus der Ordination heraufkam und sich mit mir beschäftigte, obwohl es schmerzte, wenn er die Wattepfropfen in meine Gehörgänge bohrte, aber es waren Vaters Hände, und wenn Vater mir Schmerz bereitete, war es richtig, und ich war stolz, daß er mich wahrnahm, sooft ich Ohrenschmerzen hatte. Und als ich in Wien inskribierte, da kannte niemand meinen Vater, was mich sehr verwunderte, ich war nicht mehr ich, nur noch irgendeine, ich war eine unter so vielen, das schmerzte, und da kam Rolf, der mich wiedererkannte, er wußte, wer ich war, und mit ihm mußte ich schlafen, weil es so richtig war. Glaubst du, daß es das ist, Rolf? Ja, sagte er, und du weißt, wie sehr ich deinen Vater schätze. Deine Eltern lieben dich, und mich auch, also dürfen wir sie nicht enttäuschen. Sie erwarteten von dir, daß du ein Studium abschließen würdest, irgendeinen Weg gehen, einen Status anstreben, und du hast sie vor den Kopf gestoßen. Deine Heirat war für deine Eltern die letzte Hoffnung. Glaubst du nicht, Rolf, daß ich irgendwie verkehrt bin? Du bist nur unreif! Wie wird man reif? Man reift langsam heran, sagt er, und dann fotografiert er mich mit und ohne Kopftuch, uns beide mit Selbstauslöser, und er sagt, daß er es sehr weit bringen kann. Wie weit? Zum Beispiel kann ich Generaldirektor der VÖEST werden! Ja? Mit deiner Unterstützung werde ich jedes Ziel erreichen, so hoch es auch gesteckt ist.
    Die Frau braucht einen Mann, und es geht uns gut. Er wird auf der Leiter immer höher und höher steigen, ich werde die Leiter festhalten, damit sie nicht umkippt. Wir werden Kinder haben, aber nur eigene, denn bei Adoption, sagt er, weiß man nicht, was für Erbmaterial da ins Haus kommt. Eine Frau ohne Mann, was ist das schon? Er ist stärker. Dafür kann sie Kinder machen. Und ob wir von Blutkreislauf, Leber und Nieren zu einem sinnvollen Leben befähigt werden, oder ob wir leben müssen im Sinne von Blutkreislauf, Leber und Nieren, das sind Fragen, die man sich nicht zu stellen hat. Wo kämen wir hin, wenn wir alles umdrehten? Grübeln führt zu nichts. Man sollte sich freuen, daß man lebt. Andere Kinder wären froh, wenn sie …
     
    Weil ich noch nie in einem Kasino war, macht Rolf mir die Freude, und er
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