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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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andere! Warum treten wir dann nicht aus der Kirche aus? Rolf sagt, weil es keine Vorteile bringt. Warum haben wir denn kirchlich geheiratet? Rolf sagt, als Österreicher ist man katholisch, und das trägt man wie den Steireranzug. Und Schluß, aus, wir müssen jetzt zur Spanischen Treppe. Also ich muß nicht. Darf man fragen warum? Nein, ich will fragen, warum du immer so redest wie die blöden Volksschullehrer, von denen Karl sagt, daß sie mit zwanzig schon sagen: Also die jungen Leute heutzutage! Der Karl hat einmal den Anfang eines Gesprächs unter jungen Kollegen gehört, und er hat geglaubt, sie parodieren den Volksschuldirektor, der hat auch immer einen Steireranzug an, und dann hat er gemerkt, daß sie genau das gesagt haben, was sie denken. Das hat ihn verwirrt. Kommst du zur Spanischen Treppe, bitte? Er kriegt keine Antwort und geht mit schnellen, gekränkten Schritten über die Straße. Der Fotoapparat, mit dem er das Kolosseum erledigt hat, baumelt von seiner Schulter. Wenn Sommer wäre, würde er ein Käppchen und kurze Hosen tragen. Dann könnte man die mageren Beine sehen. Vom Risotto hat er Durchfall bekommen. Er hat eine Wut auf Italien. Ich will aber im Kolosseum bleiben und nicht davonlaufen vor dem Entsetzen, ich will das begreifen, was hier geschehen konnte, wo es doch heißt, daß nichts geschieht, ohne daß Gott es will, und wie war das mit der Allmächtigkeit und Barmherzigkeit, wenn die Gladiatoren aufeinander losgingen? Was dachten sich die Männer und Frauen, die dabei zuschauten? Was fühlten sie? Was hat sich seither geändert? Es hat sich gar nichts geändert. Dem Geschichtsprofessor, den wir auch in Geografie hatten, ist immer das Wasser im Mund zusammengelaufen, wenn er gesagt hat: Brasilien, Kaffee, Kolumbien, Bananen, und die Schlacht bei, und die Enthauptung des, und er hat sich bei Napoleon und Bismarck immer sehr gemütlich aufgehalten, weil ja dann Österreich durchzunehmen gewesen wäre unterm deutschen Regime, und da wußte er nie, was er sagen sollte, einerseits als Lehrer, andererseits als Parteimitglied. Es hat sich nichts geändert, nur die Moden ändern sich, und die Luft, die ich einatme, ist auch durch die Lungen der Gladiatoren geströmt, ich sitze auf Blut und in Blut, und Blut rinnt durch den Körper des Ansichtskartenverkäufers. Warum ist das kein Tempel? Hier könnte ich beten. Nicht drüben unter der Kuppel. Da ist die Wahrheit, nicht dort in den Fresken.
    Wenn die Italiener nicht das Hemd gewechselt hätten, sagt Rolf, hätten wir den Krieg nicht verloren. Die deutschen Soldaten waren die tapfersten, und leider hat Adolf Hitler nicht auf seine Generäle gehört, und man muß kein Nazi sein und kein Faschist, um die Tatsachen anders zu sehen, als es einem heute aufgezwungen wird. Wer hat denn die russischen und die englischen und die französischen Kriegsverbrecher aufgehängt? Nein, nein, sagt er, um mit dir über Politik zu reden, da mußt du erst reifer werden. Und er will keine Spaghetti, milanese nicht und bolognese nicht, und die Italienerinnen haben alle zu kurze Beine und zu breite Hüften, und Deutsch können sie auch nicht, und am Strand bläst der Wind, alles kahl rundherum, der Himmel liegt wie ein Segeltuch über stählernem Wasser. Wer zuerst das Meer sieht, kriegt ein Eis, sagte Vater. Ich, ich sehe das Meer! Wie kommt das Salz ins Meer? Mutter lacht. Die Fischer fahren hinaus, sagt Vater, und sie haben Pakete, und sie streuen das Salz vorsichtig in die Wellen. Mutter lacht und streichelt mich. Mutter und Vater sind glücklich, glaube ich, du bist frigid, sagt Rolf, ich weiß nicht, sage ich, weil man sich das schnell angewöhnt zu sagen: Ich weiß es nicht. Er möchte aber wissen, warum ich alles schön finde, was ihm häßlich vorkommt, und umgekehrt, und warum ich mich nicht fotografieren lasse, warum ich trotzig und aufsässig bin. Ich kann nichts sagen, weil er alles, was ich ihm anvertraue, auspreßt. Er gibt mir die Schale zurück: Schau, so leer war deine Behauptung. Sag noch was, ich will es prüfen. Schau her, es ist wieder nichts. Da hast du es zurück. Und denk nicht immer an deine blöde Kindheit, befaß dich mit der Gegenwart, werde endlich erwachsen. Wie wird man denn erwachsen? Das bringe ich dir schon bei. Als ich ein Kind war, Rolf, habe ich mich gefreut auf das Erwachsensein. Ich war voll Vorfreude und Ungeduld. Jeder Geburtstag war ein Sieg! Und jetzt möchte ich wieder zurück, bis in den Bauch meiner Mutter möchte ich, wenn
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