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Verbrannte Träume.

Verbrannte Träume.

Titel: Verbrannte Träume.
Autoren: Hammesfahr Petra
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Kapitel

    Jetzt, wo ich hier liege, nein sitze – sitzen kann ich nämlich schon wieder –, jetzt fragen mich alle, warum ich nichts gesagt hätte und nicht zur Polizei gegangen wäre. Bin ich doch, als ich noch nicht wußte, worum es ging. Sie haben mir zugehört, waren freundlich und haben wahrscheinlich gedacht, ich wäre hysterisch. Viele Leute sind hysterisch, wenn sie gerade einen nahen Angehörigen verloren haben. Und dann auf so scheußliche Weise. Für die Polizei war es ein Unfall. Und ich konnte anfangs nichts vorbringen, was sie aufgescheucht hätte. Später hätte ich eine Menge vorbringen können. Nur konnte ich da nicht mehr zur Polizei gehen. Ich konnte mit niemandem reden, auch nicht mit meinen Eltern oder mit Ullis Tante. Es war zu ungeheuerlich. Ein paarmal habe ich selbst gedacht, daß ich verrückt wäre. Daß ich mich in etwas hineinsteigerte, mir zu viele Filme angeschaut hätte. Ich mochte Filme, in denen es hochdramatisch zugeht. In denen die Leute vor Todesangst vergehen. Man sitzt vor dem Fernseher und kaut sich die Fingernägel ab. Dann kommt das Wort Ende, man hat immer noch Herzklopfen, schaltet die Kiste ab und geht ins Bad. Aber wenn man plötzlich selbst in so einem Film ist … Ich sehe es noch deutlich vor mir. Wie er da stand. Neben dem Schreibtisch, leicht vorgebeugt. Er las, was ich zuletzt geschrieben hatte. Es war dunkel, nicht völlig dunkel. Da war die blaue Lichtglocke vom Computerbildschirm. Ich wollte sein Gesicht sehen, aber er stand mit dem Rücken zu mir. Erst als er sich aufrichtete und zu mir hinschaute … Ich kannte sein Gesicht. Nur ihn, ihn kannte ich nicht. Nicht wirklich. Er hatte gehört, daß ich hereinkam, und fing an zu reden, bedächtig und genüßlich. Ich glaube, es hat ihm Spaß gemacht. Er sagte:
    »Tut mir leid. Ich hatte mir das ein bißchen anders vorgestellt. Aber du hast zuviel Wirbel gemacht.«
    Dann hob er den rechten Arm. Da sah ich erst, daß er eine Pistole in der Hand hatte. Ich habe geschrien, mich umgedreht. Das habe ich mal in einem Film gesehen. Da sagte einer, es sei ungeheuer schwer, einem Menschen in den Rücken zu schießen. Ich dachte, er würde nicht schießen, wenn ich mich umdrehte. Aber ihm war das egal, Rücken oder Gesicht. Einen Knall habe ich nicht gehört. Er hatte einen Schalldämpfer auf dem Ding, konnte es sich nicht leisten, herumzuballern. Das hätten bestimmt ein paar Leute gehört, das war nicht in seinem Sinne. Auftauchen wie ein Geist und genauso wieder verschwinden, so hatte er sich das gedacht. Es hat nicht sehr weh getan, das war komisch. Nur so, als ob ich einen harten Stoß in den Rücken bekommen hätte. Nein, zuerst einen gegen die Schulter, dann hörte ich dieses entsetzliche Klirren, dann kam der Schlag in den Rücken. Und damit war es vorbei. Damit war für mich alles vorbei. Der Traum vom schönen, bunten Leben. Aber der hatte sich schon eine Woche vorher in Rauch aufgelöst. Ich hatte es nur nicht sofort begriffen. Eine eigene Wohnung, viel Geld, die Freiheit, zu tun und zu lassen, was ich wollte, das hatte ich alles. Es war nicht meine Wohnung, auch nicht mein Geld. Es gehörte alles meinem Mann. Ja, einen Mann hatte ich auch. Einen tollen Mann, einen phantastischen. Einen, der glaubte, er könnte sich die ganze Welt in die Tasche stecken. Jahrelang sah es so aus, als könnte er es tatsächlich. Er hatte mir schon imponiert, da war ich noch ein kleines Mädchen. Ulrich Meuser. Ulli, es haben ihn alle immer nur Ulli genannt. Er war einer von denen, denen alles gelingt, was sie anpacken. Nur das letzte ist ihm gründlich daneben gegangen. Er hatte nicht bedacht, daß die Leute manchmal anders reagieren, als man sich das vorstellt. Darüber reden kann ich noch nicht. Wenn ich es versuche, habe ich das Gefühl, daß in mir etwas in Stücke reißt. Aber darüber schreiben, das ist wie denken. Gestern habe ich meine Mutter gebeten, mir einen Schreibblock mitzubringen. Ein Päckchen Bleistifte, einen Anspitzer, einen Radiergummi. Keine Kugelschreiber! Um Gottes willen keine Kugelschreiber! Bei dem Gedanken, daß ich irgendwann wieder so ein Ding in die Hand nehmen müßte, fange ich an zu zittern. Zu meiner Mutter habe ich nur gesagt, ich hätte Angst, daß ich mit einem Kugelschreiber Flecken in die Bettwäsche mache und Ärger mit der Stationsschwester kriege. Noch mehr Ärger als ohnehin. Die Schwester sieht es nicht gerne, daß ich im Bett sitze. Aber sitzen kann ich wieder, also tu ich das auch, so oft
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