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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
Autoren: Robert Gordian
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    Es war spät, nahe Mitternacht. Die Kerzen an den mannshohen Kandelabern brannten herunter und Diener gingen umher, um neue aufzustecken. Die Luft war erfüllt von Rauch und Bratenduft. Noch immer wurden Schüsseln mit Wildbret und Zuspeise aufgetragen, die Diener mit den Weinkannen mussten sich sputen, weil ihnen von allen Seiten mit herrischem Zuruf geleerte Becher entgegengestreckt wurden. Musikanten flöteten, fiedelten, zupften. Gaukler zeigten ihre Kunststücke. Links und rechts an den langen Tischen hatten die Herzöge, Grafen, Erzbischöfe und Bischöfe mit ihrem vornehmen Anhang die steife Würde der Krönungsfeier längst abgelegt. Scherzworte flogen hin und her, lösten krachendes Gelächter aus. Damen kreischten, wenn ihnen unter den Tischen wuselnde, nach Brocken schnappende Hunde zwischen die Beine gerieten. Fettglänzend waren die Wangen, aus Mundwinkeln rannen Weinbäche, vom Rauch gerötet waren die Augen, kunstvoll geflochtene Zöpfe lösten sich auf. Mancher in Seide gezwängte Jungfrauenbusen hob sich mit kurzem Atem, wenn einer der jungen Männer sein letztes heldenhaft bestandenes Abenteuer berichtete. Unter den Tischen fanden sich Hände und Füße.
    Nicht alle Reden waren nur laut und leichtfertig. Grauhaarige, mit kostbarem Schmuck behängte Damen erörterten augenrollend und fuchtelnd das Für und Wider von Heiratsprojekten. Würdige Herren standen in Grüppchen beisammen und tauschten ernste Ansichten über die Lage im Reich und jenseits der Grenzen, die Köpfe nah beieinander, um den Dialekt des anderen zu verstehen. Nicht oft sahen sich die Großen aus Bayern, Franken, Schwaben, Sachsen und Lothringen. Manche waren sich jahrelang nicht begegnet oder erinnerten sich nur eines unangenehmen Zusammentreffens irgendwann, irgendwo auf einer Walstatt. In den meisten Fällen lag das lange zurück. Unter König Heinrich hatte, ungewöhnlich genug, zwischen den großen Stämmen jahrelang Eintracht geherrscht. Zwar beschossen sich einige alte Widersacher |8| mit scheelen, finsteren oder herausfordernden Blicken, viel häufiger aber sah man Händedrücke, Umarmungen, Küsse.
    Es war ein fröhliches Krönungsfest an diesem sich neigenden 7. August des Jahres 936 in der großen Halle der Königspfalz zu Aachen. Am Morgen hatten die Großen des Ostfränkischen Reiches den neuen König gewählt, den vierundzwanzigjährigen Sachsen Otto, und waren damit einer dringenden Empfehlung seines Vaters Heinrich gefolgt, die der bereits vom Tode Gezeichnete im Frühjahr auf einem Hoftag in Erfurt ausgesprochen hatte. Nach der Wahl wurde Otto, der aus Achtung vor der Tradition fränkisch, das heißt mit einer eng anliegenden Tunika bekleidet war, von seinen hochadeligen Wählern in den Säulengang bei der Basilika geleitet. Hier bestieg er einen erhöhten Sitz, auf dessen Stufen die Großen einer nach dem anderen niederknieten, um ihm den Treueid zu leisten und ihre gefalteten Hände zwischen die seinen zu legen. Danach zogen alle in das berühmte karolingische Oktogon, um die Entscheidung der weltlichen Machthaber durch das kirchliche Ritual überhöhen und veredeln zu lassen. Hildebert, der Erzbischof von Mainz, höchster Priester der katholischen Kirche im Reich, trat dem jungen König entgegen, ergriff seine Hand und führte ihn in die Mitte, sodass ihn alle, die Zutritt gefunden hatten, auch einfaches Volk darunter, sehen konnten. Dann forderte er die Versammelten auf, ihre rechte Hand zu heben, wenn sie der Wahl der Mächtigen zustimmten. Dies war natürlich nur eine Formsache, die unter Jubelgeschrei vollzogen wurde. Aus den Händen Hildeberts empfing Otto das Reichsschwert mit dem Wehrgehenk, den Königsmantel mit den kostbaren Spangen, schließlich Zepter und Stab, die Insignien seiner Herrschaft. Zur Krönung mit dem goldenen Diadem und zur Salbung mit dem heiligen Öl lieh der Erzbischof von Köln, Wichfrid, dem Mainzer Amtsbruder seinen Beistand, und schließlich stieg der Gewählte, Gekrönte und Gesalbte die Wendeltreppe zum Thron Karls des Großen hinauf. Hier nahm er Platz und ließ sich noch einmal feiern.
    Nach der Krönungsmesse zog er mit seiner Gemahlin, der in einer gesonderten Zeremonie gesalbten Königin Edgith, und seinem Gefolge in die Halle hinüber, wo er Hunderten Gästen ein Festmahl gab. Vier Herzöge warteten dabei in den traditionellen Ämtern auf, die schon die Merowingerkönige eingeführt hatten. Giselbert von Lothringen, zu dessen Herzogtum die Pfalz Aachen gehörte, hatte
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