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Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
Autoren: Alex Marwood
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PROLOG
    1986
    Es gibt eine Decke, aber der Geruch, der aus ihren Falten aufsteigt, lässt sie vermuten, dass sie noch nie gewaschen wurde. Die Zellen sind überheizt, und obwohl Jade sie, gleich nachdem sie sie hier hereinbrachten, zusammengerollt und in eine Ecke des Raums geschoben hat, ist der Gestank nach alter Pisse und ungewaschener Haut schwer zu ignorieren. Officer Magill hebt sie, zusammengeknäuelt wie sie ist, auf und streckt sie ihr entgegen. » Du musst das überziehen«, sagt sie. » Über den Kopf. Offenbar soll man dein Gesicht nicht sehen.«
    Das ist ziemlich überflüssig. Jades Gesicht war vor Monaten in sämtlichen Zeitungen und wird es morgen wieder sein. Abweisend mustert sie das Laken. Officer Magills Augen werden schmal.
    » Weißt du was, Jade?«, sagt sie. » Meinetwegen kannst du gern unverhüllt da rausgehen, wenn du willst. Die brennen alle drauf, dich zu sehen, glaub mir. Mir ist das egal.«
    Sie haben mich doch schon gesehen, denkt Jade. Immer und immer wieder. In den Zeitungen, in den Nachrichten. Deshalb lassen sie uns doch jedes Jahr in der Schule zu diesen Porträtaufnahmen antreten. Nicht für unsere Familien. Vielmehr damit es immer ein Foto gibt, das man den Zeitungen verkaufen kann. Damit die etwas haben, an dem sie ihre Schlagzeilen aufhängen können. DIE WELT BETET . FINDET UNSEREN ENGEL . Oder, wie in meinem Fall, DAS BÖSE ENGELSGESICHT .
    Durch die offene Tür kann sie Bel schreien hören. Immer noch. Sie hat damit angefangen, als der Urteilsspruch einging, und das ist Stunden her. Jade hingegen konnte durch die dicken Zellenwände bislang nur die Stille hören. Kein Laut dringt hindurch: weder die lechzende Meute noch die vorbeieilenden Schritte derer, die mitten in den Vorbereitungen stecken. Ab und zu das metallische Klicken, mit dem die Abdeckung des Gucklochs beiseitegeschoben wird, oder der Knall einer anderen schweren Tür, die zugeschlagen wird; ansonsten steinerne Stille, nur das Geräusch ihres eigenen Atems, der Klang ihres rasenden Herzens. Als Officer Magill die Tür öffnete, war der Lärm schier überwältigend, selbst hier im Keller: die wilden Sprechchöre fremder Menschen, die Gerechtigkeit verlangten. Die Meute will sie. Sie und Bel. So viel versteht sie.
    Magill streckt ihr erneut die Decke hin. Diesmal nimmt Jade sie. Man wird sie so oder so dazu zwingen, sie sich umzuhängen, ob sie will oder nicht. Ihre Hände berühren sich, und Magill zuckt vor dem Kind zurück, als ob Gift an seiner Haut klebte.
    Bel klingt wie ein kreischendes Tier, das in der Falle sitzt.
    Sie würde sich den eigenen Arm abbeißen, wenn sie dadurch entkommen könnte, denkt Jade. Für sie ist es schlimmer als für mich. Sie hat nicht so ein schwieriges Leben gehabt wie ich.
    Officer Magill wartet mit heruntergezogenen Mundwinkeln. » Wie fühlst du dich, Jade?«
    Einen Moment lang glaubt Jade, dass die Frau sich um sie sorgt, aber ihr Gesicht spricht eine andere Sprache. Jade starrt sie mit aufgerissenen Augen an. Ich fühle mich klein, denkt sie. Klein und allein und verängstigt und verwirrt. Ich weiß, dass die Meute nach mir verlangt, aber ich verstehe nicht, warum sie mich so hassen. Wir haben es nicht gewollt. Wir haben nie gewollt, dass es passiert.
    » Nicht besonders, stimmt’s?«, fragt Magill schließlich, ohne eine Antwort abzuwarten. » Fühlt sich nicht besonders an, wie?«
    Bels Stimme, Kampfgeräusche im Flur: » Neinneinneinneinnein! Bitte! Bitte! Ich kann nicht! Ich will meine Mama! Mammmmaaa! Ich kann nicht! Bringt mich nicht da raus! Neinneinnein, niiiicht!«
    Jade dreht sich zu Officer Magill um. Ihr Gesicht gleicht einer Halloweenmaske, voller grimmiger Furchen in Schwarz und Rot. In ihrem Blick der gleiche Hass und Abscheu wie in den Stimmen des Mobs draußen. Jade ist schuldig. Keiner soll so tun, als hielte man sie für unschuldig.
    So ist es, das sind wir: nicht » die Verdächtigen«, nicht » die Kinder in Haft«. Wir sind » die Mädchen, die Chloe umgebracht haben«. Wir sind jetzt der Teufel.
    Magill schaut über ihre Schulter, um zu sehen, ob einer ihrer Vorgesetzten sie hört, und senkt die Stimme.
    » Geschieht dir verdammt recht, du kleines Miststück«, zischt sie. » Wenn es nach mir ginge, würden sie die Todesstrafe wieder einführen.«

KAPITEL 1
    2011
    Martin sieht auf seine Armbanduhr. Fast zehn. Bald geht sie zur Arbeit. Die Neonlichter der Achterbahn von Funnland sind ausgeschaltet, jetzt flackern die Halogenbogenlichter auf, die den
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