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Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Titel: Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Matthies
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Kapitel 1
    »Äähhh … dings!«, ruft Rocky von der Höhe der gemauerten Pyramide herab, die aus der Mitte unseres künstlich angelegten Amphitheaters emporragt.
    Noch vor Tagesanbruch hat mein großer Bruder den gesamten Clan in »Sphäre  2 « versammelt. So heißt der größte Raum in dem Steinhaus, das uns der Zoo als Winterquartier zur Verfügung stellt. Der Name ist übrigens nicht auf Rockys Mist gewachsen: Sphäre  2 . Auf Rockys Mist wächst selten etwas, und wenn, dann mit maximal – sagen wir – vier Buchstaben. Möglicherweise fünf. So etwas wie »Äähhh … dings!« zum Beispiel. Jedenfalls hat Rocky uns alle zusammengetrommelt, weil er etwas verdammt Wichtiges zu … äh … verkünden hat. Dings eben.
    Die gesamte Sippe sieht zu ihm auf und fragt sich, was sie sich immer fragt, wenn Rocky eine Rede hält: ob es das jetzt schon war, und wie um alles in der Welt Pa auf die Idee kommen konnte, ausgerechnet Rocky zu seinem Nachfolger als Clanchef zu bestimmen. Pa selbst sitzt derweil am äußeren Ende des steinernen Halbrunds, die gekreuzten Vorderbeine auf seinen Gehstock gestützt, und blickt ins Nichts. Ab und zu gibt seine Staublunge etwas von sich, das sich je zur Hälfte aus Keuchen und Husten zusammensetzt. Im Verlauf des Winters hat er sich zunehmend in seine eigene Welt zurückgezogen, und seit einiger Zeit kommt er nur noch auf Stippvisite bei uns vorbei. In schwachen Momenten frage ich mich, ob ich in Pas Welt wohl eine Rolle spiele, ob es mich da gibt. Sollte mich wundern.
    »Frühlingsanfang!«, brüllt Rocky und reißt mich aus meinen Gedanken. Er ist sichtlich erleichtert, das richtige Wort gefunden zu haben.
    Vorausgesetzt, es ist das richtige. Was eigentlich nicht sein kann. »Frühlingsanfang« bedeutet nämlich, dass wir gesammelt unser Winterquartier verlassen und zurück ins Freigehege ziehen. Raus aus dem stickigen, miefigen Muff des Steinhauses, rein ins Tageslicht, in die frische Luft, ins Leben. Ein großartiger Tag, den jedes im Zoo aufgewachsene Erdmännchen instinktiv herannahen fühlt. Das Problem ist: Außer Rocky hat hier niemand Frühlingsgefühle. An der Scheibe, durch die wir nach draußen gucken können, kleben noch Eisblumen.
    »Ist der jetzt komplett bescheuert?«, raunt der neben mir stehende Kato aus dem zweiten Wurf.
    Ich sage nichts. Erstens, weil das eine rhetorische Frage war, und zweitens, weil die Antwort ja sowieso klar ist.
    »Du bist toll, Papa«, ruft Celina mit ausgebreiteten Armen.
    »Danke, Papa«, quäkt auch Chantal, die immer so klingt, als würde ihr beim nächsten Satz der Kopf platzen.
    Ungläubiges Gemurmel breitet sich aus. Rufus und ich sehen uns an. Wenn jemand weiß, wer hier nicht richtig tickt, dann mein allwissender Schlaumeierbruder. Er wirft einen beiläufigen Blick auf die rosa Herzchen-Armbanduhr, die von dem Klettband baumelt, das er um den Bauch trägt, checkt das Datum und stellt fest: »Mindestens zwei Wochen zu früh.«
    Das bestätigt mir zwar, was ich bereits vorher wusste, nämlich dass Rockys Synapsen vor allem Kurzschlüsse produzieren, bringt mich aber auf der Suche nach einer Erklärung nicht weiter.
    »Und was muss ich jetzt machen?«, nölt Marcia aus dem fünften Wurf.
    Habe ich eben gesagt, dass
alle
im Zoo aufgewachsenen Erdmännchen instinktiv spüren, wenn Frühlingsanfang ist? Muss ich zurücknehmen. Alle außer Marcia. Und Mads. Und ziemlich sicher Colin. Wenn ich so darüber nachdenke: Für Nick und Nemo würde ich meine Klaue auch nicht ins Feuer legen. Eigentlich ist der gesamte vierte Wurf nicht wirklich zurechnungsfähig. Und auch beim dritten gibt’s ein paar Fragezeichen …
    »Das bedeutet: Raus!«, ruft Rocky. »Alle Mann zurück ins Freigehege!«
     
    Die Erklärung für den spontanen Frühlingsanfang erhalten Rufus und ich, nachdem Sphäre  2 sich geleert hat, Rocky von der Pyramide herabgestiegen ist und breitbeinig auf uns zueiert. Er ist im Winter nicht nur vierfacher Vater geworden, sondern hat auch um die Hüften herum ganz ordentlich zugelegt.
    »Was steht ihr noch so blöd hier rum?«, blafft er uns an. »Habt ihr eure Lauscher nicht aufgestellt: Es ist Frühlingsanfang!«
    Rufus versucht, einen unverfänglichen Einstieg zu finden. »Rocky?«
    »Was’n das für ’ne Frage? Glaubst du, ich weiß meinen eigenen Namen nicht?«
    »Doch, natürlich weißt du den. Schließlich bist du unser Clanchef …«
    »Na siehste.«
    »Ich wollte dir eine Information zukommen lassen …«
    Rocky
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