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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt
Autoren: Nagel
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ich.
    Â»Schöner Name. Aber ich hoffe, du hast keine Meise?«
    Â»Doch!«, sage ich.

    Â»Na gut, Meise.« Sie lacht und gibt mir die Hand. Die Hand ist ganz weich und sauber. Es ist die Hand der Weinkönigin. Ich fühle mich irgendwie dreckig, als würde ich mit Kacke an den Fingern ein wertvolles Gemälde betatschen. »Ich bin Marie.«
    Â»Marie! DAS ist ein schöner Name!«
    Â»Danke.«
    Â»Nice to meet you, Marie!«
    Â»Ebenso.«
    Â»Dann bist du also die Weinkönigin?«
    Â»Sieht so aus«, sagt Marie und erzählt mir, wie das so ist als Ortsweinkönigin. Im Wesentlichen lässt es sich so zusammenfassen: Sie muss alle möglichen Feste und Veranstaltungen eröffnen, Reden halten, dumm rumstehen und freundlich und schlagfertig sein. Rein repräsentativ also. Ein bisschen wie der Bundespräsident, nur mit weniger Komfort und ohne Security, die sie vor lallenden Typen wie mir schützt, die sie einfach dumm von der Seite anquatschen. Ich versuche aufrecht zu stehen, schwanke dabei aber bedenklich. Als hätte ich Sprungfedern unter den Füßen.
    Â»Tut mir leid, ich habe heute meine runden Schuhe an.«
    Marie lacht. Sie lacht die ganze Zeit. Sie ist sehr freundlich, und sie stört sich nicht daran, dass ich ganz offensichtlich sternhagelvoll bin. Der souveräne Umgang mit offensichtlich Sternhagelvollen gehört wahrscheinlich zu ihrem Job.
    Sie sagt, dass sie das jetzt schon das zweite Jahr macht, dass sie zwar in Mainz studiert, aber immer noch ein Zimmer bei ihren Eltern hat, und dass sie heute schon seit fünfzehn Uhr auf dem Weinfest ist. Es muss mittlerweile weit nach Mitternacht sein. Dafür sieht sie noch ziemlich frisch
aus. Als wäre sie gerade erst geschlüpft, so munter und fröhlich und sauber. Das Dorf ist bestimmt stolz auf sie.
    Marie aus Sörz.
    Ein leuchtendes Juwel in dieser johlenden Jauchegrube.
    Die Blume im Müll.
    Vielleicht tut sie ja heimlich Wasser in ihren Weinkelch. Eine Schorlenkönigin.
    Je mehr sie mir erzählt, desto mehr glaube ich, dass ich unbedingt mit ihr schlafen muss. Was sie wohl unter dem Kleid trägt?
    Vielleicht gar nichts. Ziemlich gute Vorstellung.
    Vielleicht ist sie ja nur noch da, weil sie auf einen wie mich gewartet hat. Einen paarungswilligen Kerl, den sie nicht schon seit der Grundschule kennt wie alle anderen hier. Ein leichtes Opfer, das sie ohne großes Palaver in ihr Liebesnest entführen kann, in das sie ihr altes Kinderzimmer umgewandelt hat. Wahrscheinlich ist sie eine von denen mit dem ausgeprägten Mutterinstinkt, mit einer großen Schwäche für Verpeilte, Verwirrte und Versoffene.
    Die gibt es wirklich, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Sie stürzen sich wie wild auf Typen wie Itchy, Holger oder mich, weil sie uns für bedürftig und liebenswert halten. Sie ziehen uns aus den Kneipen, wo wir fertig am Tresen hängen, schleifen uns in ihre Betten und ficken uns die Seele aus dem Leib, aus lauter Dankbarkeit, sich kümmern zu können. Kümmern kümmern kümmern, das ist ihre große Passion. Bevor wir erschöpft einschlafen, streicheln sie uns den Rücken, geben unseren Schwänzen lustige Namen, flüstern uns Sweet Nothings ins Ohr und hoffen, dass wir eine leichte Erkältung kriegen, damit sie uns morgen im Bett behalten, uns eine Buchstabensuppe kochen und still und heimlich ihren seidigen Liebeskokon um uns stricken können.

    So sind sie, die Mutterinstinktbräute, sie können nichts dafür, es liegt in ihrer Natur, und wir geben ihnen eine Nacht lang, was sie brauchen, und lassen sie dann mit angeknackstem Herzen zurück. Es tut uns leid, aber es geht nicht anders, denn wir können in ihrem Gefängnis aus Zuneigung und Sorge nicht atmen. Bald darauf gehen sie wieder auf die Pirsch und suchen nach einem anderen schwachen Jungen, der an ihrer Brust saugen möchte.
    Weinkönigin Marie gehört auch dazu. Wenn sie nicht dazugehören würde, hätte sie mich schon längst abserviert.
    Irgendwie erscheint es mir plötzlich als das Beste, was ich machen kann, das einzig Wahre: an die Mosel kommen und mit der Weinkönigin nach Hause gehen. Eine Nacht mit dem alkoholischen Adel, die Krönung meiner Reise, was für ein Finale!
    Und vielleicht wird es sogar die Sache mit Judith relativieren, wenn ich nicht nur mit ihr, sondern auch mit der Weinkönigin des Nachbarortes im Bett war. Der
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