Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt
Autoren: Nagel
Vom Netzwerk:
waren weg. Die Dorfpunks waren weg. Alle waren weg.
    Bloß einer war da noch: Marek.
    Er stand auf einmal in seiner Jeanskluft vor mir und fragte, was los sei, ob er mir helfen könne, ob er mich nach Hause bringen solle. »Nichts ist los, mir geht’s super, richtig GEIL geht’s mir!«, sagte ich und ließ ihn stehen.
    Die Band hatte schon abgebaut, stattdessen lief im Zelt jetzt Konservenmusik, schrill und laut aus einer miesen Anlage plärrend. Es waren nur noch jüngere Leute da, und von denen auch nicht mehr viele. Nur der Ausschuss. Die Resterampe. Veteranen einer öden Schlacht, Aasgeier im geplünderten Garten der guten Laune, die unbeholfen in den Scheinwerfern der Jugendzentrumsdiscolichtanlage zappelten. Ich erinnere mich an »American Idiot«, und obwohl ich das Lied wahnsinnig peinlich finde, fing ich an zu tanzen. Diese ganzen Moves, die Brian mir in New York beigebracht hatte - Regale einsortieren, Kippe austreten, Tennisspielen, sich an unsichtbaren Strängen durch den Raum ziehen und so. Das passte natürlich überhaupt nicht zur Musik, und ich wurde ziemlich dumm angestarrt.
    Ein spastisch zuckender Fremder, ein blutverschmierter Eindringling, ein abgefuckter Alien, nach Amoklauf und Zeitbombe riechend.
    Â»Take me down to the paradise city …«, ich sank auf die Knie, »where the grass is green and the girls are pretty«, ich
reckte meine Hände in die Luft wie ein krankes Äffchen, »oh won’t you please take me home«, ich hatte mich noch nie größer gefühlt, weit weg von Zweifel oder Scham, nichts mehr zu verlieren, keine Wurzeln, kein Gewicht auf den Schultern, unbeschwert, ein Ausdruck, der es wirklich gut trifft, hinter mir nur verbrannte Erde, abgefackelte Brücken, die ultimative Freiheit, oder wie Itchy immer sagt: Ohne Bewusstsein, das muss kein Verlust sein.
    Â 
    Danach verschwindet alles in einem dichter werdenden Nebel. Ich weiß noch, dass ich halb auf dem Biertisch des DJs lag und ihm zurief, dass ich unbedingt »Bizarre Love Triangle« hören müsse, und zwar so laut wie möglich.
    Â»BI-ZARRE LOVE TRI-ANG-LE! Von NEW OR-DER!«
    Er sah mich nur ausdruckslos an. Ich glaube, er kannte nicht mal die Band. DJ ist auch übertrieben. Das war irgend so ein Jugendtreffheini, der mit seinem Laptop aufgelegt hat.
    Â»Das ist der beste Song, der jemals geschrieben wurde!«, brüllte ich und legte ihm einen Zwanziger hin. Stimmt, jetzt fällt’s mir wieder ein, ich habe tatsächlich versucht, den DJ zu bestechen. Doch der beachtete weder mich noch das Geld. Stattdessen legte er irgendeine Neunziger-Jahre-Scheiße auf. »E-xit light! E-nter ni-ight!«
    Als ich den Kids beim Headbangen zusah, wurde ich mit einem Mal schrecklich müde. Es hatte alles keinen Zweck mehr, ich musste da raus. Das Geld ließ ich liegen. Der DJ war zu stolz, es anzunehmen, und ich war zu stolz, es zurückzunehmen. Zwanzig Euro. Na und. Nur ein alter Lappen mit Bakterien dran.
    Draußen vorm Zelt fand ich eine halbvolle Flasche Wein auf einem der leeren Tische und trank sie in einem Zug
komplett aus. Ich erinnere mich genau an das Gefühl, wie mir der letzte Schluck warm und sauer in den Mund lief. Meine Lippen hingen noch an der Flasche, ich musste aufstoßen, und einen Moment später lehnte ich am Kinderkarussell und kotzte mir die Seele aus dem Leib.
    Im Hintergrund lief dieses fürchterliche Lied aus den Neunzigern, dieses irische Rockgejodel mit der japsenden Sängerin, ich würde mal sagen: das schlimmste Lied, das je geschrieben wurde. »Zombie« heißt es, genau.
    Passte ja mal wieder. Der Zombie war in dem Fall ich.
    Das ist das Letzte, an das ich mich erinnern kann.
    Â 
    Irgendwie bin ich dann wohl hier gelandet.
    Angespült. Gestrandet. Verschollen und zerschossen.
    Ich weiß nicht, ob ich mich in meinem ganzen Leben schon mal so habe gehenlassen. Das gute Christian-Dior-Hemd ist total eingesaut. Verena hat es in einem Second-Hand-Laden in Brooklyn gekauft und mir zum Geburtstag geschenkt. Mein bestes Hemd. Jetzt kann ich’s wegschmeißen. Wie ich aussehe, mit dem Blut und der Kotze! Wenn man im Lexikon nach dem Begriff »jämmerlich« sucht, ist da bestimmt ein Bild von mir.
    Ein schmutziger Clown, durch die Mangel gedreht und irgendwo wieder ausgespuckt. Von allen verlassen. Inklusive aller guten Geister.
    Der Missionar, den niemand wollte.
    Das dreckige
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher