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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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    Nachdem wir um ein Haar ein Sommerhaus abgefackelt hätten, wurde beschlossen, dass meine Freunde und ich uns bis zum Schulbeginn im September nicht mehr sehen durften. Es war Juli 1963, ich war elf Jahre alt, und Carlie, meine Mutter, nahm mich unter ihre Fittiche. Sie und Daddy fanden, man könne es meiner Großmutter nicht zumuten, die ganze Zeit darauf aufzupassen, dass ich nichts anstellte, während sie bei der Arbeit waren. Daddy verdiente sein Geld mit dem Hummerfang und musste jeden Tag die Fallen kontrollieren, deshalb gab Carlie, die als Kellnerin im Lobster Shack arbeitete, ein paar ihrer Schichten ab, um zu verhindern, dass ich im Gefängnis landete.
    Unter Carlies spielerischer Aufsicht zu stehen, war nicht das Schlechteste, was mir je passiert war. Ich hatte sie während der beiden letzten Juliwochen fast ganz für mich allein, und wir unternahmen jeden Tag etwas anderes. Wir holten uns in Rays Gemischtwarenladen oben an der Straße ein Eis, setzten uns damit auf die Stufen vor unserem Haus und schauten auf das Wasser, das vom Hafen am Ende von The Point zu uns herüberblitzte. Wir wanderten von unserem Garten durch den Wald zum nahe gelegenen Naturschutzgebiet und machten dort ein Picknick. Wir saßen stundenlang im Lobster Shack, bummelten durch Long Reach, die nächstgelegene Stadt, tanzten und sangen zu Elvis-Platten, spielten Karten, sonnten uns oder gammelten einfach nur herum.
    An dem Tag, den ich am besten in Erinnerung behalten sollte, packten wir den Picknickkorb und machten uns mit Petunia, Carlies 1947er Ford Coupe, auf den Weg zur Route 100. Wir kamen durch Long Reach, rollten auf einer Brücke über einen breiten Fluss und fuhren eine schmale Landzunge entlang bis zum Mulgully Beach, der ganz an der Spitze lag. Dort waren wir mit Carlies Freundin Patty verabredet.
    Patty kellnerte zusammen mit Carlie. Sie hatte butterblumengelbes Haar, hellblaue Augen und Grübchen, die so tief waren, dass sie Murmeln darin hätte verstecken können.
    »Na, warst du auch schön brav?«, fragte sie und packte eine Portion Pommes frites und eine Cola aus, die der Koch vom Lobster Shack ihr für mich mitgegeben hatte. »Das will ich jedenfalls schwer hoffen. Sonst endest du womöglich noch wie ich.«
    Sie war hübsch, witzig und ließ sich nichts gefallen. Unhöflichen Kunden kippte sie »aus Versehen« ein Glas Wasser über den Schoß, oder sie mussten länger warten. Einmal war eine Gruppe von zehn Gästen verschwunden, ohne ihr Trinkgeld zu geben, und die Leute hatten tatsächlich die Stirn gehabt, noch mal wiederzukommen. »Denen hab ich’s gezeigt«, hatte Patty zu Carlie und mir gesagt. Nachdem sie sie mit freundlichem Lächeln bedient hatte, schlich sie sich hinaus auf den Parkplatz und ließ ihnen die Luft aus einem der Reifen. Als die Leute später draußen standen und sich fragten, was sie jetzt machen sollten, war Patty zu ihnen gegangen, hatte ihr Trinkgeld verlangt und es auch bekommen. Ihre Art gefiel mir, obwohl Grand, meine Großmutter, dazu wahrscheinlich gesagt hätte: »Ein Unrecht hebt das andere nicht auf.«
    Carlie bekam immer reichlich Trinkgeld. Während Patty flirtete und kicherte und jedem zu verstehen gab, dass sie es faustdick hinter den Ohren hatte, brauchte Carlie solche Manöver gar nicht. Sie brachte jeden Raum zum Strahlen und zog die Menschen magisch an. Für mich war sie das Zentrum des Universums. Und für Daddy auch.
    Ich nannte sie immer Carlie, nie Mutter, Mom oder Ma. Mit achtzehn war sie mit Petunia aus Massachusetts hierhergekommen. Daddy hatte mir erzählt, wie sie sich vor Rays Laden begegnet waren. Sie hatte ihn sofort umgehauen. »Ich war grad fertig mit dem Fang«, sagte er, »und da dachte ich mir, ich geh mal zu Ray und hol mir ein Sixpack ‘Gansett. Vor dem Laden stand ein Auto, die Stoßstange glänzte in der Sonne. Dann schob sich jemand davor. Es war ein Mädchen, und es lächelte mich an. Hübsche Augen, rotes Haar. Bisschen dünn, aber das war mir egal.«
    Carlie hatte Daddy erzählt, dass sie den Sommer über im Lobster Shack arbeitete. »An dem Abend hab ich bei Ma gegessen«, sagte Daddy, »und obwohl sie extra Finn ‘n Haddie für mich gemacht hatte, konnte ich an nichts anderes denken als an Carlie, die nur ein Stück die Straße runter war.«
    Die beiden hatten im August 1951 geheiratet, und im Mai 1952 war ich auf die Welt gekommen. Sie hatten mich Florine genannt, nach Daddys Mutter Florence und Carlies Mutter Maxine.
    An dem Tag, als
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