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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt
Autoren: Nagel
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    Â»Bitte schalten Sie jetzt alle elektronischen Geräte ab, bringen Sie Ihren Sitz in die aufrechte Position, klappen Sie Ihre Tische hoch und stellen Sie sicher, dass Ihr Sitzgurt fest angezogen ist. Danke.«
    Â»Bitte!«, ruft die Frau im Sitz vor mir und lacht wiehernd über ihren eigenen Scherz.
    Sie hat offensichtlich einen Eid geschworen: Sie darf niemals aufhören zu sprechen. Seit wir hier sitzen, kommentiert sie alles, was sie sieht, liest oder hört. Noch auf dem Rollfeld müssen die fünf Reihen vor und hinter ihr unfreiwillig ihren lautstarken Exkursen lauschen. Über den Sonnenuntergang, die Temperatur, das schwüle Wetter. Den geilen Dollarkurs und den Ami an sich. Beim Durchblättern der Frankfurter Allgemeinen , die die Stewardess ausgeteilt hat, kommentiert sie jede Seite, wie ein Kind, das gerade erst lesen gelernt hat.
    Â»Oh, Shopping! Oh, Reise!«, und dann: »Wat iss’n ditte für’ne Scheißzeitung, sind ja nur Stellenanzeigen drinne!«
    Sobald wir in der Luft sind und die Anschnallzeichen erlöschen, klappt sie ihren Sitz zurück. Rammt ihn mir ohne Vorwarnung fast ins Gesicht. Wälzt sich ungelenk hin und her und beschwert sich über das Wackeln des Flugzeugs.
    Â»Bin ich hier im Karussell, oder was!«
    Sie trägt eine Kurzhaarfrisur mit blonden Strähnchen, geordnet strubbelig, wie es deutsche Frauen über fünfzig
mögen, die gerne von sich selbst behaupten, für ihr Alter noch »ganz flott unterwegs« zu sein. Ihr Gesicht ist stark geschminkt. Augen, Nase und Mund schwimmen in einer Pfütze aus Fett und Talg. Über diesem unappetitlichen See aus Farben thront eine randlose Brille mit kleinen eckigen Gläsern und neongrünen Schnörkeln am Gestell. Drum herum spannt sich die verbrannte Haut wie ein alter Lederlappen.
    Mit den Fingern wühlt sie sich in den Haaren, und damit mir fast im Gesicht herum. Ihre Fingernägel glänzen, als wären sie mit Zuckerglasur überzogen. Lang und manikürt wuchern sie aus stumpigen Fingern, die ihrerseits ohne Übergang an den Armen sitzen. Man sieht nicht mal Handgelenke, nur am rechten Arm eine winzige goldene Uhr, die fast in den Wülsten ihres speckigen Unterarms verschwindet.
    Ihre Kapuzenjacke ziert ein eBay-Logo. Vielleicht arbeitet sie dort, das würde zu ihrem Akzent passen, der nach Bürojob in Kleinmachnow klingt, nach Doppelhaushälfte in Ludwigsfelde, nach Wohnwagenurlaub am Zeuthener See, das New-York-Wochenende für zwei bei Antenne Brandenburg gewonnen.
    Ihr Mann sitzt daneben und verhält sich still. Er ist das Gegenteil seiner Frau: unauffällig, grau, dünn, leise. Das Haar schütter, der Pullover ein paar Nummern zu groß, so dass er darin verschwindet wie ein Erstklässler in Mamas Bademantel. Sogar der Oberlippenbart wirkt irgendwie zu schmal.
    Die Frau hat hier eindeutig die Hosen an. Es sind weiße Jeansshorts. Ihre Beine stecken in pinken Socken mit der Aufschrift Princess , aus denen fast gleichfarbig ihre Waden hervorquillen.

    Auch das Essen wird ausgiebig kommentiert. Wie erwartet kommt es nicht gut weg.
    Â»Das ist doch’ne Zumutung, ist doch wahr!«
    Sie stößt ihrem Mann verschwörerisch den Ellbogen in die Rippen.
    Â»Jau.«
    Niemand hat ihr je den Punkt gezeigt, an dem Dummheit in Penetranz umschlägt. Ich würde gerne eine rauchen. Bestelle noch ein Bier. Einen Wodka dazu.
    Â 
    Das amerikanische Ehepaar neben mir blättert in einem Lonely Planet für Germany. Die Frau ist hübsch und geschmackvoll gekleidet. Anfang vierzig. Typ erfolgreiche Geschäftsfrau. Vielleicht Inhaberin einer Casting-Agentur. Oder Staatsanwältin? Von Zeit zu Zeit schaut sie sich irritiert um, wenn vor uns wieder eine laute Wolke Unsinn durch das Flugzeug gejagt wird. Ihr erster Eindruck vom originär deutschen Lifestyle, das ist jetzt nicht gerade die sanfte Einführung.
    Ich verspüre ein leichtes Ziehen in den Schultern. Auch ich hätte mir den ersten Kontakt mit meiner Heimat nach der langen Zeit etwas weniger brutal gewünscht.
    Â»Schönheit!«, bellt Frau Randlos, als ihr Mann niest, und kriegt sich gar nicht mehr ein vor Lachen. Ein nach Luft schnappendes Gequieke, wie eine kaputte Sirene. Bis sie einen schlimmen Hustenanfall bekommt. Der Mann klopft ihr mit seinen schmalen Fingerchen zaghaft auf den Rücken. Es sieht aus wie ein Dackel, der ein Nilpferd massiert. Kurz
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