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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt
Autoren: Nagel
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Fenster geklebt war. Darunter eine Telefonnummer.
    Ich habe die Nummer damals angerufen und mich erkundigt. Die Miete betrug keine Tausend Euro im Monat, als Abstand wollten die Vorbesitzer fünfzehntausend Euro
haben, für Theke, Zapfanlage, Schanklizenz und alles. Das war genau der Betrag, den ich auf dem Konto hatte, nachdem Silvia mir meinen Anteil von unserem Erbe überwiesen hatte.
    Ein eigener Laden, das war ein reizvoller Gedanke. Holger wollte gleich einsteigen. Er war völlig aus dem Häuschen, so kannte ich ihn gar nicht.
    Einen Namen für die Pinte hatte ich auch schon: »Alter Vatter«.
    Holger präferierte »Bredouille«.
    Â»Klingt doch super: Gestern war ich in der Bredouille und hab zu viel Schnaps getrunken! «, rief er, als wir im Radetzky standen und uns ausmalten, wie das alles werden würde: die Musik, die Werbung, die Wände, die Gäste.
    Â»Los, wir gehen zum Alten Vatter und saufen uns einen an!«, entgegnete ich, und wir lachten und umarmten uns und tanzten auf der Stelle, bis einer von uns dem nächsten Gast ein Bier zapfte, denn man weiß oft nicht so genau, wer von uns beiden gerade Schicht hat und wer nur zum Trinken da ist.
    An diesen feuchtfröhlichen Abenden verliebte ich mich in die Idee, einen eigenen Laden zu haben - nach all den Jahren, die ich in den Kneipen anderer malocht hatte.
    Alter Vatter oder Bredouille - dass es eine Goldgrube werden würde, galt uns hier, in diesem boomenden Viertel, als absolut sicher. Yolandas Segen hatten wir auch. Sie sagte, sie würde ihre beiden besten Barkeeper zwar vermissen, uns aber auf jeden Fall bei dem ganzen Behördenquatsch helfen, den sie mit dem Radetzky vor Jahren schon hinter sich gebracht hatte.
    Nachdem sich die erste Euphorie gelegt hatte, wurde mir aber klar, dass ich die Verantwortung für einen eigenen
Laden eigentlich gar nicht wollte. Mir wäre ja schon das Haus meines Vaters zu viel gewesen. Allein die Idee, Hausbesitzer zu sein, jagte mir richtig Angst ein.
    Mieter suchen? Renovierungen anleiern? Kostenvoranschläge prüfen? Noch bevor die Formalitäten für den Erbantritt geklärt waren, brachte ich Silvia dazu, alles für den Verkauf des Hauses vorzubereiten.
    Außerdem war da noch so eine Ahnung, die immer mehr zur Gewissheit wurde: Ich durfte das geerbte Geld nicht investieren. Es war einzig und allein dazu da, verschleudert zu werden. Nichts übrig behalten von dem Besitz, der immer nur für Streit und Hass gesorgt hatte. Ich sah es als meine Pflicht an, aus den Fehlern meines Vaters zu lernen und gar nicht erst in Versuchung zu kommen, diese zu wiederholen. Nichts sparen, nichts auf die hohe Kante legen und auf keinen Fall versuchen, das Geld anzulegen oder zu vermehren. Ich musste es benutzen, es ausgeben - und zwar alles, bis auf den letzten Cent.
    Â 
    Weihnachten in Portugal wurde mir dann endgültig klar, was ich mit meinem Erbanteil zu tun hatte. Holger hatte drauf bestanden, dass ich die Feiertage mit ihm und Anne an der Algarve verbringe. Er dachte vermutlich, er müsste sich um mich kümmern. Ich wiederum dachte, ich müsste ihm einen Gefallen tun, als Dankeschön dafür, dass er sich so um mich gekümmert hatte. Allein die ganzen Schichten, die er für mich übernommen hatte. Die Hilfe mit dem Steuerberater und das alles.
    Wir kraxelten gerade die Felsen des Cabo de São Vicente entlang. Der südwestlichste Punkt Europas, das sogenannte Ende der Welt. Über uns stand ein großer Leuchtturm,
unter uns tobte der Atlantik, und als ich die beiden eingeholt hatte, zeigte Holger schweigend auf eine Steinplatte, die in einen Felsen gehauen war.
    Â 
    IN ERINNERUNG AN UNSEREN SOHN UND FREUND,
ZUR WARNUNG AN ALLE,
DIE SICH HIER NICHT AUSKENNEN.
    Â 
    Wir setzten uns hin und schauten aufs Meer hinaus. Vor ein paar Jahrhunderten war hier für die Menschen die Welt zu Ende gewesen, weil sie nichts ahnten von Amerika und Indien und so. Ich dachte darüber nach, wie beschwerlich die Reisen damals gewesen sein mussten, wie einfach sie dagegen jetzt waren. Dann dachte ich an meinen Vater, der so gut wie nichts von der Welt gesehen hat. Und mir fiel auf, dass es bei mir ja bisher nicht viel anders aussah. Ich war sechsundzwanzigeinhalb Jahre alt und hatte den Kontinent noch nie verlassen. Ich war noch nicht mal in Paris, London oder Rom gewesen.
    Die Liste der Orte, die ich nicht gesehen hatte, war endlos. Und es war keine sehr
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