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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt
Autoren: Nagel
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exotische Liste.
    Warum eigentlich?
    Weil ich mein ganzes Erwachsenenleben lang notorisch pleite war?
    Vielleicht, aber das Argument zog jetzt nicht mehr. Ich kam mir plötzlich so klein vor, und das war genau der Moment, in dem mir klarwurde, dass ich das Geld meines Vaters benutzen musste, um zu reisen.
    Â»Holger, das mit dem Alten Vatter …«
    Â»Du meinst die Bredouille?«
    Â»Wie auch immer. Jedenfalls, das wird nichts.«
    Â»Ich weiß.«

    Â 
    Als ich abends in unserem Häuschen in Albufeira ins Bett fiel - ich hatte das Kinderzimmer und konnte meine Beine nie ganz ausstrecken -, fühlte es sich an, als hätte ich gerade Tag eins meines neuen Lebens hinter mich gebracht.
    Ich weiß noch, wie ich erschrak, weil mir so ein Gedanke eigentlich viel zu kitschig war.
    Aber so fühlte es sich nun mal an.
    Und nun trage ich mein Geld in genau den Laden, der meiner hätte sein können. Ich sitze zwischen mit Zeitungen, Laptops und Babys bewaffneten Menschen an einem Tisch in der Sonne und kaue apathisch auf meinem Croissant herum, und Weihnachten an der Algarve kommt mir irre weit weg vor. Obwohl es gerade mal ein halbes Jahr her ist.
    Nachdem ich bei dem hübschen Mädchen mit den kurzen dunklen Haaren bezahlt habe, mache ich mich auf zum Kanal, mit einem kurzen Schlenker zum Späti an der Ecke.
    Â»Morgen, Frau Schenk. Einmal Benson & Hedges Lights, bitte.«
    Â»Es ist nicht Morgen, sondern Mittag, Herr Meise. Und das heißt auch nicht Lights , das heißt Silver !«, sagt Frau Schenk. Frau Schenk ist die Besitzerin dieses Spätkaufs, der den guten Namen »Spätkauf« trägt. Seit ich vor drei Jahren in dieses Viertel gezogen bin, habe ich es noch nicht erlebt, dass sie nicht selbst hinter der Kasse saß.
    Â»Ach ja, Silver !«, sage ich, gucke an die Decke und schlage mir leicht die flache Hand vor die Stirn. Meine »Was bin ich nur für ein Dummerchen«-Geste. Frau Schenk lacht, und ich lache auch. Es ist so ein Ritual zwischen uns. Manchmal ärgere ich sie und verlange von vornherein eine Schachtel Benson & Hedges Silver , dann gibt sie mir jedes Mal einen beleidigten »Spielverderber!«-Blick, bevor sie umso lauter loslacht.

    Als Verena und ich vor einer Woche vom Flughafen kamen, ging ich gleich rüber zu Frau Schenk. Ihre Augen leuchteten, als sie mich sah. »Ach, sieh einer an!«, rief sie freudig erregt. »Ich dachte schon, ich könnte die Silvers ganz aus dem Sortiment nehmen!«
    Ich glaube, sie hatte mich in den letzten Wochen und Monaten wirklich vermisst. Kein Wunder, vergeht doch kaum ein Tag, an dem ich nicht mindestens eine Schachtel Kippen bei ihr kaufe.
    Â»Bis später«, sagt Frau Schenk.
    Â»Bis später«, sage ich, öffne die Schachtel und zünde mir eine an. Ich rauche nicht nur sehr viel, sondern vor allem sehr gerne. Es ist mehr als eine Sucht. Zum Beispiel diese Zigarette jetzt gerade, die erste nach dem Frühstück, wie gut die schmeckt! Der erste Zug, dieses bewusste, tiefe Inhalieren des Rauchs, das kurze Innehalten und Wiederausatmen. Wie schön betäubt dann alles für einen kurzen Moment ist. Herrlich.
    Â»Du bist ein Gelegenheitsraucher - du rauchst bei jeder Gelegenheit«, sagt Silvia immer. Meine Schwester war noch nie die lustigste Person auf dem Planeten. Ich mag sie trotzdem. Weil sie so schlau ist. Oder eher: klug. Ich weiß gar nicht, ob es da einen Unterschied gibt, aber klug, das passt irgendwie noch besser. Wenn man in einem Lexikon nach dem Begriff »klug« sucht, ist da bestimmt ein Foto von meiner Schwester.
    Manchmal schießt sie aber auch übers Ziel hinaus. Seit ein paar Jahren versucht sie mir ständig eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung unterzujubeln. ADS. Ihrer Meinung nach leide ich an Dopaminmangel oder so was. Ihre Theorie ist, dass dieser Botenstoff in meinem Körper zu schnell abgebaut wird, womit sie mein angebliches Suchtverhalten
und mein Verlangen nach neuen Kicks durch Nikotin, Kaffee, Alkohol, Drogen und Sex erklären will. Schon mehrmals wollte sie mich zum Neurologen schleppen. Sie als Akademikerin will die Dinge immer benennen, alles muss erklärbar sein, nichts passiert einfach so, und wenn ich sie nicht stoppe, schmeißt sie so lange mit Begriffen wie »Neurotransmitter«, »Impulsivität« und »Dysfunktion« um sich, bis mir ganz schwindelig wird und ich mich tatsächlich völlig labil und
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