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Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)

Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)

Titel: Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
Autoren: Samarkand
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Kapitel 1
    Saarlouis
     
    Eingenebelt in ein Leben voller Routine und Lieblosigkeit sehnte ich mich nach Freiheit. Sehnte mich nach Abenteuer und Liebe. Wir schrieben das Jahr 1879 und ich war mittlerweile 39 Jahre alt. Lasst mich kurz erzählen, was alles bis zu diesem Lebensjahr passierte, dann wisst Ihr, was alles nicht passierte. Und glaubt mir nur, es dauert nicht allzu lang, es zu erzählen.
     
    Geboren im Jahr 1840 in Saarlouis als einziges Kind meiner Eltern, wurde ich in meinen Kindheits- und Jugendjahren nur darauf getrimmt, gut auszusehen und eine gute Partie zu machen. Es gab Regeln statt Liebe. Es gab nie Schläge, aber es gab auch nie Herzlichkeit. Wir wohnten in einem wunderschönen großen Haus, umgeben von einem parkähnlichen Garten, am Rande der Stadt. Mein Vater war Privatbankier und meine Mutter kümmerte sich um den großen Haushalt. Sie war eine wunderschöne Frau. Aber sie war unnahbar, so unnahbar wie mein Vater fast nie zuhause war. Wir hatten sehr viel Personal und es fanden zahlreiche Gesellschaften im Haus meiner Eltern statt. Ab und zu schlich ich mich spät am Abend in meinem Nachtgewand auf die Galerie, presste mein kleines Gesicht durch die offenen Spalten des Geländers und schaute diesen wunderschönen Menschen in ihren herrlichen Roben beim Tanz zu.
     
    Zu keinem Zeitpunkt kann ich mich an den Austausch von Zärtlichkeiten zwischen meinen Eltern erinnern. Ich habe damals nichts hinterfragt. Ich kannte nichts anderes. Die Mahlzeiten nahm ich zumeist bei den Dienstboten in der Küche ein und zu besonderen Anlässen, wenn ich zusammen mit meinen Eltern speiste, war oftmals Besuch bei uns. Gerade an Feiertagen statteten die Großeltern unserem schönen Haus mit dem parkähnlichen Garten einen Besuch ab. Die Eltern meines Vaters wohnten auch in Saarlouis, aber am anderen Ende der Stadt. Ich glaube, mein Vater verstand sich nicht so gut mit seinem eigenen Vater. Einmal hörte ich meinen Vater mit lauter erboster Stimme zu meinem Großvater sagen, dass endlich Schluss sein müsse mit der Spielerei. Damals überlegte ich, ob mein Großvater wohl auch so einen schönen Puppenwagen besaß wie ich und dass er auch nicht damit spielen durfte. Die Frau von meinem Großvater, also meine Großmutter, war immer krank, und ich musste noch leiser sein als sonst, wenn sie bei uns zu Besuch war. Die Eltern meiner Mutter kamen nicht sehr oft zu uns. Sie waren schon vor ganz langer Zeit in irgendeine große Stadt in Frankreich gezogen. Meine Mutter war sogar dort geboren worden und erst nach ihrer Vermählung mit meinem Vater nach Saarlouis gezogen. Waren meine Eltern und ich doch ausnahmsweise einmal unter uns, wurde schweigend gegessen und nach dem Mahl musste ich sofort zurück in mein Zimmer.
     
    Zum Gute-Nacht-Sagen reichte ich meinen Eltern die Hand und machte einen Knicks. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Kuss oder eine Umarmung erhalten zu haben. Auch nicht von meinen Großeltern. Für meinen Vater war ich, so glaube ich, ein Wesen von einem fremden Stern. Er sah mich an, aber er sprach nicht mit mir. Was sollte er auch mit einer kleinen Tochter anfangen? Später, ja später vielleicht würde er sie, die Tochter, mit einem passenden Mann vermählen. Meine Mutter suchte bisweilen die Zimmer, die ich und meine Gouvernante bewohnten, sowie mein Schulzimmer auf, um mit meinen Privatlehrern einige Dinge zu besprechen oder zu schauen, ob ich auch all meine Hausaufgaben ordentlich erledigte. Ich musste immer hübsch anzusehen sein, mein Schlafzimmer und auch mein Spielzimmer hatten immer aufgeräumt zu sein. Auch das Schulzimmer hatte immer mustergültig auszusehen.
    Wenn ich ab und zu in mein Spielzimmer durfte, erfreute ich mich an all den schönen Dingen, die dort standen. Zum Spielen hatte ich gar keine Zeit, denn ich musste hübsch aussehen, lernen und meine Zimmer aufräumen. Dort standen herrliche Puppen, die ganz lange schwarze Wimpern hatten. Eine von ihnen hatte ganz viele Kleider, die genauso aussahen wie die Kleider, die ich besaß. Meine Gouvernante kleidete die Puppe und mich immer passend ein, denn ich hatte dazu keine Zeit. Wenn das Wetter schön war, ging die Gouvernante, ihr Name war Sonja, ab und zu mit mir in unserem Park spazieren. Und wenn Sonja gute Laune hatte, nahmen wir meinen wunderschönen Puppenwagen, der mit weißer Brüsseler Spitze besetzt war, mit und darin thronte die Puppe, die genauso angezogen war wie ich. Aber Sonja war nicht sehr oft guter Laune.
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