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Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl

Titel: Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
Autoren: Greg Iles
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1
    M itternacht im Garten der Toten. Ein silberweißer Mond, der hoch über dem spiegelschwarzen Fluss und dem Deich steht, wirft sein kaltes Licht auf das Louisiana-Delta. Ich stehe zwischen den schimmernden Steinen auf der Mississippi-Seite und zittere. In weitem Rund bin ich der einzige lebende Mensch. Zu meinen Füßen liegt eine nackte Granitplatte; darunter ruht die Leiche meiner Frau. Auf dem Grabstein steht:
    Sarah Elizabeth Cage 1963–1998
    Tochter, Ehefrau, Mutter, Lehrerin
Du wirst geliebt
    Doch ich habe mich nicht um Mitternacht auf den Friedhof geschlichen, um das Grab meiner Frau zu besuchen, sondern weil ein Freund mich dringend darum gebeten hat. Aber ich bin nicht um unserer Freundschaft willen gekommen, sondern aus Schuldbewusstsein, vor allem aber auch Furcht. Der Mann, auf den ich warte, ist fünfundvierzig, aber für mich wird er immer neun Jahre alt sein. Damals, während der Mondlandung von Apollo 11, erreichte unsere Freundschaft ihren Höhepunkt. In der Jugend sind Freundschaften inniger als später im Leben; deshalb empfindet man ein umso tieferes Gefühl der Schuld, wenn ein Freund aus Jugendtagen sich von einem entfernt und man nicht genug unternimmt, um die Beziehung aufrechtzuerhalten. In meinem Fall ist es umso schmerzlicher, weil Tim Jessup im Laufe der Jahre immer wieder in Schwierigkeiten geraten ist.
    Meine Furcht aber hat nichts mit Tim zu tun. Er ist bloß ein Bote, der mir möglicherweise Nachrichten bringt, die ich nicht hören will. Vielleicht werden diese Nachrichten die Gerüchte bestätigen, die in unserer Gegend kursieren. Und wenn diese Gerüchte stimmen, hat sich etwas Schreckliches, Monströses in meine Stadt eingeschlichen, und ich habe ihm die Tür geöffnet.
    Ja, es ist meine Stadt: Vor zwei Jahren habe ich in einem Anfall von Pflichtgefühl für das Bürgermeisteramt kandidiert, um meine Heimatstadt Natchez zu retten, und ich war überheblich genug zu glauben, ich könne einen Pakt mit dem Teufel schließen, ohne unser aller Tugend zu schädigen. Aber das war Wunschdenken.
    Meine Uhr zeigt 12.30 Uhr. Dreißig Minuten nach dem verabredeten Zeitpunkt, und immer noch ist neben den schulterhohen Steinen zwischen mir und der Cemetery Road nichts von Tim Jessup zu sehen. Nach einem stummen Abschied von meiner Frau gehe ich zurück zum Jewish Hill, unserem Treffpunkt. Ich mache kaum Geräusche im taufeuchten Gras. Die Namen, die in die Grabsteine gemeißelt sind, kenne ich mein Leben lang. Sie stehen für die Geschichte dieser Stadt – und meine eigene. Friedler und Jacobs und Dreyfus oben auf dem Jewish Hill; Knox und Henry und Thornhill bei den Protestanten; Donelly und Binelli und O’Banyon bei den Katholiken. Und auf dem »Colored Ground«, wie er auf der Friedhofskarte bezeichnet wird, liegen jene Sklaven, die im Dunstkreis der weißen Welt lebten und sich nach dem Tod einen Flecken geweihter Erde verdient haben. Die meisten Schwarzen aber wurden ohne Grabstein bestattet. Man muss weiter die Straße hinunter, zum staatlichen Friedhof, um die Gräber von wirklich freien Schwarzen zu finden. Viele waren Soldaten, die zu den 2800 unbekannten Toten der Nordstaatenarmee im amerikanischen Bürgerkrieg gehörten, die hier ruhen.
    Aber dieser Friedhof hier atmet eine noch ältere Geschichte. Einige der Toten, die hier bestattet sind, wurden Mitte des achtzehnten Jahrhunderts geboren, doch würden sie morgen wieder zum Leben erwachen, würden Teile der Stadt ihnen kaum verändert erscheinen. Kleinkinder, die an Gelbfieber starben, liegen neben spanischen Dons und vergessenen Generalen. Alle verwesen unter weinenden Engeln und marmornen Heiligen, während sich die knorrigen Äste der Eichen, an denen Bärte aus Spanischem Moos herunterhängen, über ihnen ausbreiten. Natchez ist die älteste Stadt am Mississippi, älter als New Orleans; wenn man sich die verwitterten Grabsteine anschaut, die krumm und schief dastehen, gibt es keinen Zweifel mehr daran.
    Ich war das letzte Mal hier, um einen Schaden in Höhe von einer Million Dollar zu begutachten, den betrunkene Randalierer an den unersetzlichen schmiedeeisernen Statuen angerichtet hatten, die diesen Friedhof so einzigartig machen. Deshalb werden die vier Tore vor Einbruch der Dunkelheit jetzt mit Eisenketten verschlossen. Tim Jessup weiß das; es ist einer der Gründe, weshalb er diesen Ort für unsere Verabredung gewählt hat. Als Tim mich anrief, dachte ich, er würde den Friedhof aus Gründen der Bequemlichkeit
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