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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein
Autoren: Johan Theorin
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WALPURGISNACHT
    P er
Mörner hatte schwere Verbrennungen an seiner linken Hand, mehrere gebrochene
Rippen und konnte nur noch verschwommene Umrisse erkennen. Aber er lebte noch.
Er spürte, wie er mit Benzin übergossen wurde, registrierte dessen milde
Temperatur. Im Vergleich zu der kalten Abendluft fühlte sich die Flüssigkeit
beinahe warm an, und es brannte, als sie ihm über die Haare und in die Wunden
im Gesicht rann.
    Der Benzinkanister über seinem Kopf gab rhythmische, gluckernde
Laute von sich. Dann hörte das Gluckern auf, und der leere Kanister wurde
weggeschleudert.
    Per kniete inmitten einer großen Pfütze und war vollkommen
durchnässt. Er war von dem harten Schlag auf den Kopf ganz benommen, und die
Benzindämpfe machten ihn schwindelig.
    Er stützte sich auf seine Arme und versuchte sich aufzurichten. Aber
er hatte Schwierigkeiten, mehr als Umrisse zu erkennen. Die Gestalt vor ihm war
nur ein dunkler Schatten gegen den Abendhimmel.
    Wie ein Troll, dachte Per. Die Person sah aus wie ein Bergtroll.
    »Walpurgisnacht!«, sagte der Schatten. »Heute Nacht brennen überall
Feuer!«
    Dann holte die Gestalt etwas aus der Jackentasche, einen Gegenstand,
der leise rasselte. Es war eine Streichholzschachtel.
    Jetzt würde Per für die Sünden seines Vaters in Flammen aufgehen.
    Er hob den Kopf. Da kam ihm in den Sinn, dass er noch eine Sache
versuchen konnte, obwohl es wahrscheinlich zu spät dafür war – er konnte um
Gnade flehen.
    Ihm rann Benzin in den Mund, als er ihn öffnete.
    »Ich werde schweigen«, flüsterte er.
    Obwohl das unmöglich war, er wusste bereits zu viel über die
Machenschaften von Jerry, Bremer und Markus Lukas.
    Aber er wusste auch, dass die vielen Namen, die er in den
vergangenen Wochen zusammengetragen hatte, keine Bedeutung mehr hatten. Sie
würden alle bald verschwunden sein.
    Die Gestalt vor ihm schien nicht einmal zugehört zu haben. Sie
öffnete die Schachtel und holte ein Streichholz heraus. Dann schob sie die
Schachtel wieder zu, nahm das Streichholz zwischen die Finger und zündete es
an.
    Es knisterte leise, und dann loderte eine helle, gelbe Flamme auf.
    Jerry, Bremer,
Markus Lukas, Jessika, Regina und all die anderen ...
    Per schloss die Augen und wartete auf das Feuer. Unaufhörlich
flimmerten die Namen durch seinen Kopf.
    1
    E s
war März, und im Norden von Öland schien die Sonne auf die letzten grauen
Schneehäufchen, die auf dem Rasen vor dem Altersheim von Marnäs lagen und nur
langsam schmolzen. Die beiden Flaggen auf dem Parkplatz – die schwedische mit
gelbem Kreuz und die öländische mit einem goldenen Hirsch – flatterten im
eiskalten Wind. Beide waren auf halbmast.
    Eine lange schwarze Limousine rollte auf den Vorplatz des Altersheims
und hielt vor dem Eingang. Zwei Männer in dicken Wintermänteln stiegen aus dem
Wagen und öffneten die Kofferraumklappe. Sie zogen eine Bahre heraus, klappten
die Räder aus und schoben sie die Rollstuhlrampe hinauf und durch die gläserne
Eingangstür.
    Die Männer waren Leichenbestatter.
    Der pensionierte Kapitän zur See Gerlof Davidsson saß zusammen mit
seinen Mitbewohnern im Speisesaal, als die Männer den Fahrstuhl verließen. Er
beobachtete sie, wie sie die Bahre den Gang hinunterschoben. Auf der Bahre lagen
gelbe Decken und breite Gurte, die den leblosen Körper festhalten sollten. Die
Männer gingen schweigend am Speiseaal vorbei und steuerten den Warenaufzug an,
der hinunter in den Kühlraum des Altersheims führte.
    Das Gemurmel der Bewohner verstummte, als die Bahre vorbeirollte,
setzte aber kurz darauf wieder ein.
    Gerlof erinnerte sich, dass vor ein paar Jahren die Bewohner des
Altersheims darüber abgestimmt hatten, ob der Wagen des Bestattungsinstituts
künftig auf der Rückseite des Gebäudes halten und die Verstorbenen dezent durch
eine Hintertür abtransportieren sollte. Die meisten hatten sich jedoch dagegen
ausgesprochen, so auch Gerlof.
    Die Alten wollten sehen, wie ihre verstorbenen Mitbewohner ihre
letzte Reise antraten. Sie wollten Abschied nehmen können.
    An diesem kalten Tag war Torsten Axelsson an der Reihe. Er war in
seinem Bett gestorben, einsam und mitten in der Nacht, so, wie viele Menschen
sterben. Die Frühschicht hatte ihn gefunden, einen Arzt gerufen, damit er den
Tod bescheinigte, und ihm danach seinen schönsten schwarzen Anzug angezogen. An
seinem rechten Handgelenk wurde ein Plastikband mit seinem Namen und seiner
Versicherungsnummer befestigt, und zu guter Letzt hatten sie Torsten
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