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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein
Autoren: Johan Theorin
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erstaunt. »Und dann müssen sie den Herbst und
Winter über gebaut haben.«
    Gerlof schüttelte den Kopf.
    »Mich hat niemand um Erlaubnis gefragt!«
    Julia kicherte.
    »Das stört dich doch gar nicht, die Bäume versperren dir doch die
Sicht.«
    »Stimmt, aber trotzdem. Der Anstand hätte es verlangt!«
    Die Häuser waren aus Holz und Stein gebaut, mit großen, glänzenden
Panoramafenstern, weißen Schornsteinen und schwarzen Schieferschindeln. Auf
einem der Grundstücke standen noch Baugerüste herum, und ein paar Zimmerleute
in dicken Wollpullovern waren damit beschäftigt, Holzbretter aneinanderzunageln.
Vor der anderen Villa lag eine große, weiße, in Plastik verpackte Badewanne auf
dem Rasen.
    Ernsts Häuschen, das sich nördlich der beiden neuen Eigenheime
befand, sah im Vergleich dazu aus wie ein kleiner Holzschuppen.
    Luxushäuser, dachte Gerlof verächtlich. Das war mitnichten das, was
der Ort am dringlichsten brauchte. Aber nun standen sie da, fast
fertiggestellt.
    Der stillgelegte Steinbruch lag wie eine große Wunde in der
Landschaft. Er war fünfhundert Meter breit und der Boden übersät mit kleinen
und großen Steinbrocken, teils zu Haufen aufgetürmt, die aus dem Berg gebrochen
und dann beiseitegeworfen worden waren auf der Jagd nach den Steinen tiefer im
Berg, die ohne Risse und Spalten waren.
    »Willst du dir das aus der Nähe ansehen?«, fragte Julia. »Wir können
hingehen und nachschauen, ob vielleicht einer der Besitzer da ist.«
    Gerlof schüttelte energisch den Kopf.
    »Ich kenne die schon. Das sind reiche und arrogante Großstädter.«
    »Nicht alle, die hier ein Haus bauen oder kaufen, sind Großstädter«,
widersprach seine Tochter.
    »Nee, das stimmt ... Aber reich und arrogant sind sie auf jeden Fall.«
    3
    S oll
    ich das Fenster öffnen?«, fragte Per Mörner.
    Seine Tochter Nilla hatte ihm den Rücken zugewandt, aber sie nickte.
    »Sind da draußen Vögel?«, fragte sie.
    »Ganz viele!«, antwortete Per.
    Das entsprach nicht der Wahrheit, er sah keinen einzigen von dem
Krankenhausfenster aus. Aber beim Parkplatz standen Bäume, unter Umständen
saßen dort ein paar Singvögel auf den Ästen.
    »Dann kannst du es aufmachen«, erwiderte Nilla und erklärte: »Ich
habe in Biologie als Hausaufgabe, verschiedene Vogelarten aufzuzählen.«
    Nilla ging in die siebte Klasse, und sie hatte alle Bücher auf dem
Tisch neben ihrem Bett ausgebreitet. Ihre Glücksbringer und Kuscheltiere hatte
sie neben das Kopfkissen gelegt und war danach aufs Bett geklettert und hatte
ein großes Stofftransparent mit der Aufschrift NIRVANA an die Wand gehängt.
    Per öffnete das Fenster, und tatsächlich drang ein zartes Zwitschern
ins Zimmer. Aber es wurde immer wieder vom Motorenlärm vieler fahrender Autos
übertönt und würde wahrscheinlich bald verstummen. Schließlich war bereits
Abend, und der Parkplatz, auf dem die Krankenschwestern und Ärzte ihre
glänzenden Wagen abstellten, leerte sich zusehends. Pers brauner Saab stand
ebenfalls dort unten, aber der war schon neun Jahre alt und glänzte nicht mehr.
    »Woran denkst du gerade?«, fragte Nilla.
    Per wandte sich ihr zu.
    »Rate mal.«
    »Du denkst an den Frühling.«
    »Stimmt genau!«, sagte Per, obwohl er lediglich über sein altes Auto
nachgedacht hatte. »Du wirst immer besser im Gedankenlesen.«
    Denn das war das neueste Projekt seiner Tochter. Zuvor hatte sie
sich mehrere Monate damit beschäftigt, mit links so gut schreiben zu können wie
mit rechts. Aber in den Weihnachtsferien hatte sie eine Fernsehsendung über
Telepathie gesehen, und seitdem experimentierte sie mit ihrem Zwillingsbruder
Jesper und ihrem Vater. Dabei ging es darum, sowohl ihnen Gedanken zu schicken
als auch ihre Gedanken zu lesen. Per hatte den Auftrag erhalten, Nilla jeden
Abend um acht Uhr einen besonderen Gedanken zu schicken.
    Er blieb am Fenster stehen und sah zu, wie sich die untergehende
Sonne in den Scheiben der Autos spiegelte.
    Der Frühling war gekommen, trotz der anhaltenden Kälte, aber Per
hatte sich noch keine Zeit genommen, es wahrzunehmen. Die Zugvögel waren vom
Mittelmeer zurückgekehrt, und die Bauern hatten bereits begonnen, die Felder zu
säen. Per musste an seinen Vater denken, der sich immer nach dem Frühling
gesehnt hatte, vor allem weil seine Arbeit dann so richtig in die Gänge kam.
Für die meisten Menschen war der Frühling die Zeit der Jugend, oder etwa nicht?
Die Zeit der Jugend und der Liebe.
    Per hatte noch nie Frühlingsgefühle gehabt. Noch
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