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talon012

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Titel: talon012
Autoren: Kreaturen aus der Tiefe
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Talon Nummer 12

    „Kreaturen aus der Tiefe“

    von
    Thomas Knip

    Besorgt kniete sich Akheem neben dem Bewusstlosen nieder und fühlte dessen Puls. Er erahnte nur ein schwaches Schlagen unter der hellen Haut. Der Blick des alten Mannes wanderte über den Körper, der am Rande der Klippe lag.
    Tief unter ihnen erstreckte sich das endlos scheinende Meer des Dschungels in einen Spiel aus Tausenden von Grüntönen, die im hellen Licht des zunehmenden Monds matt leuchteten. Der kräftige Wind zerrte an dem knöchellangen Umhang aus einfachem, lange schon ausgeblichenem Stoff. Immer wieder musste sich der Alte eine Strähne seines langen, schlohweißen Haars aus dem Gesicht streichen. Nachdenklich fuhr er sich durch seinen kurzgeschorenen Vollbart.
    Er untersuchte die Wunden, die den Körper des Weißen bedeckten. Nicht die vielen kleinen Schnitte und Schürfwunden waren es, die ihm Sorgen machten. Er zählte auf den ersten Blick drei Schusswunden an dem von getrocknetem Schweiß und Erde verdreckten Körper. Sie hatten aufgehört zu bluten, doch der dünne Schorf konnte jederzeit erneut aufreißen.
    Der Atem des Mannes ging flach. Sein rotbraunes Haar klebte verschwitzt auf dem ockerfarbenen Sandstein.
    „B’tha“, komm’ her“, rief er einen knappen Befehl in die Nacht. Aus dem Dämmerlicht eines großen Felsens löste sich ein gewaltiger Schatten. Er stützte sich auf seine beiden kräftigen Arme und schob sich rasch vorwärts. Das silberfarbene Fell des alten Gorillas schimmerte leicht. Die dunklen Augen waren ständig in Bewegung und registrierten neugierig alles, was der alte Mann tat.
    Aus dem breiten Maul löste sich ein leiser, vorsichtiger Laut.
    „Ja, er ist schwer verletzt“, antwortete ihm Akheem. „Wir müssen ihm helfen, sonst stirbt er.“
    Ein unwilliges Grunzen folgte. Der Alte lächelte schwach.
    „Ich weiß, es ist lange her. Wir haben uns lange nicht mehr in die Angelegenheiten der Menschen eingemischt, alter Freund. Doch etwas“, seine Augen betrachteten sich den schlanken Körper, der mit nicht mehr bekleidet war als einem ledernen Lendentuch, „erinnert ihn an mich. An früher …“
    Akheems Augen wanderten über die Wipfel der höchsten Bäume hinweg, die vereinzelt aus den Wogen des Dschungels ragten. Einen Moment nur gab er sich seinen Erinnerungen hin, dann erhob er sich kraftvoll und straffte seinen dünnen Körper.
    „Bitte heb’ ihn auf. Sei aber vorsichtig!“, wandte er sich an den alten Gorilla. Der Menschenaffe folgte der Bitte ohne Zögern. Mühelos hob er den Körper des Bewusstlosen auf und legte ihn über beide Unterarme. In einer pendelartigen Bewegung wankte seine Statur über den Felsen. Er war es offensichtlich nicht gewohnt, nur auf seinen Hinterbeinen zu laufen.
    Ohne weitere Befehle stapfte er davon. Auf der dem Dschungel abgewandten Seite fiel die Klippe flacher ab und lief in weit geschwungene Hügel aus, die sich karg bewachsen bis zum Horizont erstreckten.
    Akheem sah dem Gorilla nach und untersuchte dann den blutverschmierten Stein. Die rote Spur zog sich bis zum Rand der Felsen, die steil in die Tiefe abfielen.
    „Was ist da unten nur geschehen?“, murmelte er mit rauer Stimme leise vor sich hin. Seine Augen suchten den klobigen Schatten des Tempels, der fast vollständig unter den weit ausladenden Baumkronen versteckt lag. Er wusste um die Bedeutung dieser Gebäude. Doch er hatte sich nie in ihre Nähe gewagt.
    Seine Augen brannten sich an der Stelle fest, an der steinerne Streben aus dem grünen Pflanzenteppich ragten und sich einem Skelett gleich vom nächtlichern Himmel abhoben. Plötzlich begann die Erde zu vibrieren. Ganz leicht zuerst, dann jedoch wurde das Beben stärker. Akheem hatte Mühe, sich einen sicheren Halt zu verschaffen.
    Mehrere kleine Steine polterten über den hellen Untergrund und verschwanden in der Tiefe. Der alte Mann biss die Zähne zusammen. Sein Herz pochte wild in der Brust. Der Lärm des Bebens war ohrenbetäubend, dennoch wurde alles von einem Laut übertönt, der sich unter das Grollen und Rumpeln mischte. Es war, als schrie die Erde selbst auf.
    Schwarze Blitze zuckten durch die Nacht. Doch sie kamen nicht vom Himmel. Sie lösten sich aus der Tempelanlage tief unter ihm. Bizarre dunkle Muster, die an ihrer Kante unheilvoll leuchteten, verwoben sich ineinander und zuckten unbeherrscht durch die Luft. Ihre Enden fauchten in die Höhe und verloren sich im Schwarz der Nacht.
    Dann, so schnell wie das Beben begonnen hatten,
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