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Vom Daemon verweht

Vom Daemon verweht

Titel: Vom Daemon verweht
Autoren: Julie Kenner
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außer mir die Finger in die Ohren zu stecken und laut zu singen.
    Es funktionierte nicht. Ganz gleich, wie gut meine Absichten gewesen sein mochten, drangen doch ein paar Gesprächsfetzen an mein Ohr. Letztlich war es jedoch gut, denn das Thema, um das es ging, hatte indirekt mit mir zu tun. Gut, weil es mich darauf brachte, dass es vielleicht noch immer Dämonen im Altenheim gab. Aber auch schlecht – aus genau demselben Grund.
    Ich lauschte der folgenden Unterhaltung:
    »Jenny, mir reicht es allmählich, dir immer wieder dasselbe sagen zu müssen! Du musst dich konzentrieren. So geht es nicht weiter. Du kannst nicht ständig die Patienten verwechseln.«
    »Aber – «
    »Kein Aber. Es ist völlig ausgeschlossen, dass Dermott Sinclair in diesen Bus gestiegen sein soll. Dazu wäre er nie in der Lage gewesen. Und das bedeutet, dass deine Ausflugsliste Fehler aufweist und dass jemand anders seinen Platz eingenommen haben muss.«
    »Nein, das bedeutet es überhaupt nicht! Es war Mr. Sinclair. Er hat mir sogar befohlen, ihn in Ruhe zu lassen!« Jennys Kinn zitterte, und ihre Wangen zeigten bereits rote Flecken. Aber bisher gelang es ihr noch, nicht in Tränen auszubrechen.
    Schwester Ratched seufzte entnervt und legte einen Arm um das Mädchen. »Jenny, jetzt denk doch einmal nach. Der Mann hatte einen Herzinfarkt. Er hat drei Monate lang im Koma gelegen und ist erst seit zwei Tagen wieder bei Bewusstsein. Wo sollte er um Himmels willen die Kraft hernehmen, aufzustehen und in diesen Bus zu steigen?«
    Das schien Jenny fürs Erste die Sprache zu verschlagen. Ich jedoch musste mich zurückhalten, um nicht wie eine eifrige Einserschülerin die Hand hochschießen zu lassen. Ich kannte die Antwort auf diese Frage. Aber was hätte ich schon sagen können? Wenigstens kannte ich eine Antwort. Und die war nicht gerade erfreulich.
    Dermott Sinclair war ein Dämon, und er war gerade in einen Bus gestiegen, der jeden Moment schnurstracks zur Highschool meiner Tochter fahren sollte.

 
    Etwa zwei Sekunden später war ich von meiner Schlussfolgerung bereits nicht mehr ganz so überzeugt. Es stimmte zwar, dass Dermott Sinclair ein Dämon sein konnte, aber er konnte genauso gut zu den wenigen Glücklichen zählen, denen es gelungen war, ohne weitere Nachwirkungen aus dem Koma zu erwachen und sich zu entschließen, sofort an einem Ausflug teilzunehmen. Zugegebenermaßen war meine erste Vermutung wesentlich wahrscheinlicher. Aber es gehörte nicht gerade zu den besten Manieren, einfach loszurennen und einen alten Mann zu töten, nur weil man annahm, dass es sich bei ihm um einen Dämon in Menschengestalt handelte.
    Es gab außerdem noch einen weiteren Grund für mein Zögern: Falls Dermott Sinclair tatsächlich ein Dämon war, ging er ein verdammt großes Risiko ein, wenn er sich als ein solcher outete, während ich mich im Gebäude befand. Hatte er etwa vor, mich in eine Falle zu locken? Oder braute sich da etwas Größeres in der Dämonenwelt zusammen? Etwas, was wichtig genug war, um das Risiko zu rechtfertigen, von der einzig aktiven Jägerin in der Stadt entdeckt zu werden?
    Offensichtlich musste ich erst einmal Nachforschungen anstellen.
    Allerdings befand sich Sinclair bereits im Bus – und ich nicht. Abgesehen davon hatte ich auch noch ein Kleinkind, um das ich mich kümmern musste. Ganz zu schweigen von dem Versprechen, das ich Allie gegeben hatte, auf keinen Fall zum Familientag zu spät zu kommen. (Rein theoretisch musste eine Jagd auf Dermott Sinclair allerdings gar keine Verspätung nach sich ziehen, weil der Bus sowieso zur Highschool fuhr. Aber ich hegte den leisen Verdacht, dass jeder Pluspunkt, den ich durch mein pünktliches Erscheinen bei Allie bekam, sich in Nichts auflösen würde, sobald ich vor dem gesamten Lehrerkollegium, den Schülern und dem Elternbeirat einen alten Mann k.o. schlagen und mitten in der Turnhalle pfählen würde.)
    Das ließ mir nur eine Möglichkeit. Ich musste meinen Sohn einfach meiner besten Freundin überlassen und den Dämon schachmatt setzen, noch ehe der Bus die Highschool erreicht hatte.
    Das war eine echte Alternative.
    Ich kletterte also eilig die Leiter hinunter, schnappte mir meine Tasche, die Timmy in eine Ecke gefeuert hatte, und rannte zur Damentoilette in der Nähe des Haupteingangs. Von dort aus konnte ich auch einen Blick auf den Parkplatz werfen, wo der Bus noch immer auf die letzten Ausflügler wartete und meinem Wagen zudem die Ausfahrt versperrte. Der Motor war noch
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