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Vom Daemon verweht

Vom Daemon verweht

Titel: Vom Daemon verweht
Autoren: Julie Kenner
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letzter Zeit mit meinem Politiker-Mann geblieben sind.
    All das bedeutete, dass die Erwähnung von Clarks Namen nicht gerade eine warme Welle der Zuneigung in mir auslöste. Das Gegenteil war eher der Fall. Ich hielt mich also an der Leiter fest, während ich die Augen schloss und tief durchatmete. Was konnte ich sagen? Dies war sicher nicht der richtige Zeitpunkt für eine eheliche Auseinandersetzung, aber eine solche Auseinandersetzung wäre im Vergleich zu Allies Enttäuschung, wenn Stuart nicht bei ihrem Familientag auftauchte, ein reines Honigschlecken. Ich beschloss mal wieder, diplomatisch vorzugehen. »Vergiss aber nicht, auf die Uhr zu schauen, Liebling.«
    »Werde ich nicht«, erwiderte er. »Ich kenne meine Prioritäten.«
    »Okay«, sagte ich, auch wenn ich nicht überzeugt war. Gerade wollte ich noch etwas hinzufügen, als meine Aufmerksamkeit von einem lauter werdenden Gesang im Hintergrund beansprucht wurde. »Na-CKTES Baby! Na-CKTES Baby! Nacktes Baby! Nacktes Baby! Na-ck-tes Ba-A-A-A-B-Y-Y-Y-Y-Y-Y!« Ich drehte mich auf der Leiter um, sowohl belustigt als auch ein wenig beunruhigt, was sich mir gleich zeigen würde. Und tatsächlich war es so, wie ich mir das vorgestellt hatte: Mein kleiner Junge hatte sich das Hemdchen, die Hose und die Strumpfhose ausgezogen und hüpfte nun mehr oder weniger nackt durch das Zimmer.
    Ich verabschiedete mich hastig von meinem Mann. Entweder kam er oder er kam eben nicht. Falls Letzteres der Fall sein sollte, müsste er damit rechnen, dass ihm die beiden Frauen in seinem Leben dann für lange Zeit die kalte Schulter zeigen würden. In der Zwischenzeit aber musste ich mich um den kleineren Mann in meinem Leben kümmern.
    Er lief gerade stolz im Kreis herum und wirkte dabei so, als ob ihn nichts auf der Welt aus der Ruhe bringen könnte. Seine kleinen Beine marschierten im Takt des Liedes, das er laut brüllte. Mr. Montgomery und die anderen Heimbewohner lachten so heftig, dass ich schon befürchtete, die Schwester rufen zu müssen. Schließlich wollte ich nicht, dass mein Sohn eine ganze Reihe von Herzattacken auslöste.
    Ich sah länger zu, als ich das eigentlich hätte tun sollen. Was kann ich sagen? Er sah einfach so entzückend aus. Doch dann setzte ich ein strenges Gesicht auf und rief: »Timmy!«
    Er hörte sofort mit dem Singen auf und sah mich aus großen, unschuldigen Augen an. »Ich singe, Mami!«, erklärte er zufrieden.
    »Das höre ich«, erwiderte ich. Ich warf einen Blick auf Laura, um von ihr die moralische Unterstützung zu bekommen, die ich benötigte. Doch ihre Wangen waren vor lauter Lachen gerötet, und die kleinen Weihnachtsmänner, die ihr zwischen den Fingern baumelten, zitterten vor Belustigung.
    So viel zum Thema Freunde.
    Ich bemühte mich verzweifelt darum, meine strenge Miene nicht zu verlieren. »Das Singen ist auch in Ordnung, Liebling. Aber wir tragen Kleider, wenn wir uns in der Öffentlichkeit befinden.«
    »Nicht öffentlich, drinnen!«
    Ich wette, dieses Kind wird einmal Anwalt. Der Apfel fällt schließlich nicht weit vom Stamm, auch in unserer Familie wohl nicht.
    »Das stimmt«, erklärte ich mit Engelsgeduld. »Wir sind drinnen. Aber auch drinnen tragen wir Kleider – oder nicht? Zu Hause und im Kindergarten.«
    »Und im Supermarkt«, erklärte er.
    »Genau«, entgegnete ich zufrieden. »Und jetzt bist du drinnen und musst dich wieder anziehen.«
    Mein Sohn hörte mir inzwischen nicht mehr zu. Seine eigene Nacktheit faszinierte ihn viel zu sehr. Ich seufzte und stieg die Leiter ein paar Stufen herab, wobei ich den letzten Rest Girlande wie einen traurigen Schwanz von der Mitte des Türrahmens herabbaumeln ließ. Offensichtlich hatte ich mich getäuscht. Es gab noch Dämonen in Coastal Mists. Mein eigener kleiner Teufel sprang wie ein Besessener durch den Fernsehraum.
    Ehe ich den Boden erreichte, meldete sich Laura zu Wort. »Lass mich nur machen. Ich ziehe Timmy an. Du solltest dich besser beeilen.« Sie klopfte auf ihre Armbanduhr. »Vergiss nicht die Muffins.«
    Timmy rannte auf dem Teppich hin und her und stürzte immer wieder laut kreischend auf die Heimbewohner zu, die Tränen lachten und ihn auch noch anfeuerten. Ich hegte den leisen Verdacht, dass ihm jemand Schokolade gegeben hatte. Sie hätten ihm genauso gut Kokain verabreichen können; die Wirkung wäre sicher nicht stärker gewesen.
    Laura bemerkte, wohin ich blickte, und ließ mir nicht einmal Zeit, zu protestieren. »Er ist noch keine drei, Kate. Ich werde schon
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