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Vom Daemon verweht

Vom Daemon verweht

Titel: Vom Daemon verweht
Autoren: Julie Kenner
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perfekt. Und das sage ich natürlich als völlig unvoreingenommene Außenstehende.
    Der dritte Grund, warum ich an diesem Tag Timmy mitgebracht hatte, hing damit zusammen, dass in der Schule meiner Tochter Allie der sogenannte Familientag stattfand. Sobald Laura und ich mit dem Dekorieren fertig waren, wollten wir Timmy einpacken, noch schnell bei einer Bäckerei vorbeifahren, um dort vierundzwanzig Muffins für den Elternbeirat zu besorgen, und dann zur Coronado Highschool brausen. Dort sollten wir unser Bestes geben. Wir durften nämlich auf keinen Fall unsere Töchter, die sich im ersten Jahrgang befanden, in eine peinliche Lage bringen, indem wir Jungs, Noten, Lehrer, Jungs, Fernsehen, Politik, Jungs, Kino, Essen oder irgendein anderes Fettnäpfchen-Thema ansprachen.
    Laura war gerade damit beschäftigt, den Baum zurechtzuschneiden, während ich die Girlande an einen Türrahmen tackerte und dabei versuchte, sie so kunstvoll wie möglich zu drapieren. Natürlich scheiterte dieses Vorhaben kläglich. Ich bin wahrhaft keine Martha Stewart. Mein kleiner Junge unterhielt währenddessen die Senioren, indem er den Weihnachtsschmuck durch das Zimmer rollen ließ, in meiner Tasche herumwühlte, »Jingle Bells« sang und unbeschwert Laute von sich gab, die sonst eher mit einer anderen Körperöffnung assoziiert werden.
    Sorgfältig hielt ich ein Stück Girlande hoch, presste den Tacker dagegen und befestigte es mit einem befriedigenden Klack. Dann warf ich einen Blick auf meine Uhr. Noch nicht ganz elf.
    »Warum lassen Sie das nicht für heute, meine Liebe? Ich kann den Rest gern für Sie aufhängen.«
    Der Vorschlag kam von Delia Murdoch, die gerade ihren einundneunzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Sie stand am Fuß der Leiter und hielt sich mit einer Hand daran fest, wobei sie so wirkte, als wollte sie mich vor einem Sturz bewahren. Die Frau hatte die Angewohnheit, stets ein wenig nach links zu steuern, weshalb es mir nie im Leben eingefallen wäre, sie auf eine Leiter zu lassen.
    »Wir sind nicht in Eile«, schwindelte ich. »Stimmt doch, Laura?«
    Laura sah mich an, als ob ich nun endgültig den Verstand verloren hätte. Ich hatte natürlich auch den Verstand verloren. Man erwartete uns nämlich – samt Muffins – in genau einer Stunde und fünfzehn Minuten in der Schulturnhalle.
    »Noch fünf Minuten«, sagte ich, während ich die Leiter hinunterkletterte und sie zum nächsten Türrahmen zerrte. »Die Mädchen werden sicher nichts dagegen haben, wenn wir ein bisschen spät dran sind.«
    Eine weitere Lüge. Allie hatte mich während der letzten zwei Wochen mindestens dreimal am Tag an dieses wichtige Ereignis erinnert. Sie hatte kleine Notizzettel an meinen Badezimmerspiegel, die Kaffeekanne und das Lenkrad geklebt, damit ich es ja nicht vergessen würde. Offensichtlich war ein Familientag in der High-School wichtig genug, um sie die typische Peinlichkeit für den Moment vergessen zu lassen, die man als Teenager empfindet, wenn sich die Eltern in der Nähe aufhalten. Ich wusste, dass die Hölle los sein würde, wenn ich zu spät kam. Ich habe schließlich jeden Tag mit der Hölle zu tun. Und Sie können mir glauben, dass die Feuer-und-Schwefel-Variante wesentlich angenehmer ist als das, was mir meine Vierzehnjährige auftischt, wenn sie erst einmal in Fahrt kommt.
    Laura sah mich zwar zweifelnd an, widersprach aber nicht. Während also Bing Crosby über ein White Christmas trällerte, tackerte ich im Takt mit der Musik die Girlande fest. Ich wurde deutlich schneller, als Bing zu singen aufhörte und stattdessen der »Jingle Bells Rock« aus den Lautsprechern im Fernsehzimmer dröhnte. Hinter mir hörte ich, wie Timmy zählte (»Eins, zwei, Brei, vier, sechs…«), während ihn Mr. Montgomery als »braven Jungen« lobte und ihn als »ein kleines Genie, dieses Kind« bezeichnete. Mein Herz führte vor Freude einen Twist auf. Ich habe tolle Kinder, und an diesem Tag platzte ich fast vor Stolz.
    Doch als ich an die Kinder dachte, zog sich mir auch wie so oft das Herz zusammen – vor allem, wenn es um Allie ging. Tim hat noch seinen Vater, aber Allie und ich haben Eric verloren, meinen ersten Mann, der vor fünf Jahren einem brutalen Raubüberfall zum Opfer fiel. Obwohl ich glücklich wieder verheiratet bin und Stuart gegen nichts in der Welt tauschen würde, vergeht kein Tag, an dem ich diesen Verlust nicht deutlich empfinde. Ich habe manchmal das Gefühl, als ob jemand eine Plätzchenform genommen und ein Stück in
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