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Fey 01: Die Felsenwächter

Fey 01: Die Felsenwächter

Titel: Fey 01: Die Felsenwächter
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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    Das kleine Mädchen prallte in vollem Lauf mit Jewel zusammen, rutschte aus und stürzte auf die nassen Pflastersteine. Einen Augenblick blieb es überrascht sitzen. Sein Rock hatte sich nach oben geschoben und gab den Blick auf die hosenartige Unterwäsche frei, die alle Kinder in Nye trugen. Jewel stand reglos über ihr. Ihre Hüfte schmerzte von der Wucht des Zusammenstoßes, aber sie ließ sich nichts anmerken.
    Sie hatte nicht damit gerechnet, hier, in den engen dunklen Straßen des Marktzentrums von Nyes größter Stadt, einem Kind zu begegnen. Die mit Kopfsteinen gepflasterte Straße war von hochaufragenden Steinhäusern gesäumt. Erst vor kurzem war ein heftiges Gewitter niedergegangen, doch die ersten Sonnenstrahlen, die sich jetzt zeigten, drangen nicht bis in die tiefen Häuserschluchten vor, und die Straße war noch so dunkel wie während des Unwetters.
    »Esmeralda!« Durchdringend und schrill hallte die Stimme einer Frau durch die Straßen. Die Passanten schienen sie nicht zu hören. Sie eilten vorbei, preßten ihre sonderbaren kleinen Uhren an sich und gingen unbeirrt ihren Geschäften nach.
    Das kleine Mädchen ordnete unterdessen seine Röcke und versuchte aufzustehen. Jewel kannte den panischen Ausdruck auf dem Gesicht des Kindes nur zu gut. Die heftigen Wutausbrüche ihres Großvaters hatten dieselben Gefühle in ihr ausgelöst. Sie machte einen Schritt auf die Kleine zu und ging in die Hocke, eine Bewegung, die ihr aufgrund ihrer bequemen Kleidung keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Wie dankbar sie doch dafür war, daß sie Reithosen und Stiefel trug. »Warum bist du denn so gerannt?« fragte sie auf Nye.
    »Weil ich Lust dazu hatte«, erwiderte das Mädchen.
    Gute Antwort. Die Kinder in Nye spielten zuwenig. Ihre Eltern erlaubten es nicht. Dieses Mädchen hatte Mut.
    Jewel streckte die Hand aus. Das Mädchen sah sie erstaunt an. Jewel war eine Angehörige der Fey. Man erkannte es an ihren schlanken, dunklen Händen, der dunklen Haut und den typisch geschwungenen Augenbrauen. Außerdem hatte sie schwarze Haare und etwas spitz zulaufende Ohren.
    »Esmeralda!« In der Stimme der Frau schwang jetzt ein Unterton von Panik mit.
    »Es wird ihr sicher nicht gefallen, wenn du dich schmutzig machst«, sagte Jewel.
    Die Unterlippe des kleinen Mädchens zitterte leicht. Gerade als sie Jewels Hand ergreifen wollte, ertönte direkt hinter ihnen ein Schrei. Jewel wandte sich um. Sie erblickte eine Frau, die so eng geschnürt war, daß ihr Körper flach wie ein Brett wirkte. Kämpferisch schwang sie ihren Regenschirm wie ein Schwert. Jewel erhob sich, packte die Spitze des Schirms und entwand ihn der Angreiferin mühelos.
    »Du wolltest mich doch nicht etwa schlagen?« fragte sie in ruhigem Ton, aber mit unverhohlener Drohung.
    Obwohl die Frau nicht viel älter war als Jewel, zeichneten sich auf ihrer teigigen Haut um Augen und Mund schon erste Falten ab. Ein wenig abschätzig musterte sie mit ihren hellbraunen Augen Jewels dünne Weste. »Was hast du mit meiner Tochter gemacht?«
    »Ihr beim Aufstehen geholfen. Hast du etwas dagegen einzuwenden?«
    Die Frau warf einen Blick auf das Kind. Jewel stand zwischen den beiden. Dann neigte die Frau den Kopf. »Vergebt mir«, sagte sie, nicht im mindesten zerknirscht. »Ich habe mich vergessen.«
    »In der Tat.« Jewel stellte den Schirm auf die Pflastersteine und stützte sich darauf. Robust, dachte sie. Eine gute Waffe.
    Ohne Zweifel hatte die Frau ihn auch mit dieser Absicht benutzt. »Solltest du dich noch einmal vergessen, dann wird deine Tochter vielleicht ihre Mutter verlieren.«
    »Soll das eine Drohung sein, Gebieterin?« Mit vor Wut blitzenden Augen blickte die Frau auf.
    Gebieterin. Eine respektvolle Anrede der Nye. Die Fey mißtrauten solchen sprachlichen Künsten allerdings. Es gab andere Mittel, sich Respekt zu verschaffen. »Du bist nicht mächtig genug, um bedrohlich zu sein, gute Frau«, erwiderte Jewel und bediente sich desselben Tricks, nun zu ihrem eigenen Vorteil. »Ich habe dich nur gewarnt. Aus reiner Freundlichkeit.«
    Sie kniete sich erneut neben das Mädchen. In den Augen der Kleinen standen Tränen. »Du darfst meiner Mama nicht weh tun«, flüsterte sie. »Ich wollte dich nicht anrempeln.«
    »Das weiß ich«, antwortete Jewel. Sie zog die schweren Röcke des Kindes zurecht und half ihm auf die Beine. Dann reichte sie ihm den Regenschirm. Er war fast so groß wie das Mädchen. »Erinnere deine Mutter immer wieder daran, daß
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