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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
Autoren: Seth Grahame-Smith
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Eine Steinbockherde graste auf einem steilen Felsen hoch über der Judäischen Wüste – die winzigen antilopenhaften Körper wirkten klein im Vergleich zu den gewaltigen gekrümmten Hörnerpaaren. Eine willkommene Brise blies über ihre Rücken, während sie nach dem wenigen Strauchwerk suchten, das hier im großen Nichts wuchs. Jedes einzelne Tier schob die heiße, rissige Schnauze über die heiße, rissige Erde und nagte an jedem bisschen saftigen Grün, das es geschafft hatte, sich ans Tageslicht zu kämpfen.
    Ein Steinbock – angelockt von ein paar einzelnen Halmen am Rand des Felsens – graste ein Stück weit von den anderen entfernt, näher an dem knochenzerschmetternden Abgrund, als sich selbst diese Tiere normalerweise wagten. An diesen Halmen zog er nun ach so sachte mit den Zähnen. Wenn er das Gewicht verlagerte, klapperten seine gespaltenen Hufe gegen die losen Steine, und gelegentlich stürzte ein Kiesel Hunderte Meter ins Tal hinab, womit zehn Millionen Jahre geologischen Ehrgeizes innerhalb von Sekunden zunichtegemacht wurden.
    Etliche Meilen nördlich des Ortes, an dem das Tier diese redlich verdiente Mahlzeit kaute, befand sich ein Zimmermann in der glühenden Mittagshitze auf dem Weg nach Jerusalem – in Gedanken hing er Geschichten von Plagen und Überschwemmungen nach, um sich nicht vom Durst in den Wahnsinn treiben zu lassen. Seine junge, hochschwangere Ehefrau schlief auf dem Esel hinter ihm. Und obwohl der Steinbock es nie erfahren sollte – obwohl seinem Leben, wie dem Leben aller Steinböcke, in den Annalen der Geschichte keinerlei Bedeutung oder Wertschätzung zuteilwurde –, würde er bald der einzige lebende Zeuge eines wahrlich außergewöhnlichen Anblicks werden.
    Etwas stimmt nicht …
    Vielleicht war es ein Glitzern, das er in seinem Augenwinkel bemerkte, ein winziges, kaum wahrnehmbares Zittern unter seinen Hufen. Was auch immer der Grund sein mochte, jedenfalls fühlte der Steinbock sich auf einmal genötigt, den Kopf zu heben und den Blick über die gewaltige Wüste unter sich schweifen zu lassen.
    Dort, in weiter Ferne, bemerkte er eine kleine Staubwolke, die in gleichbleibender Geschwindigkeit über die ineinander übergehenden Beige- und Brauntöne hinwegfegte. Das allein war kaum ungewöhnlich. Staubwolken, die willkürlich wie herumwirbelnde Geister durch die Wüste tanzten, gab es ständig. Doch zwei Dinge machten diese Wolke einzigartig: Erstens bewegte sie sich in einer völlig geraden Linie vorwärts, von rechts nach links. Zweitens wurde sie von einer zweiten, viel größeren Wolke verfolgt.
    Jedenfalls sah es so aus. Der Steinbock hatte keine Ahnung, ob Staubwolken einander tatsächlich hinterherjagen konnten. Er wusste lediglich, dass man sie möglichst mied, da sie höllisch in den Augen brannten. Immer noch kauend sah er sich um, ob auch die anderen es bemerkt hatten. Das hatten sie nicht. Sie grasten alle völlig sorglos vor sich hin, die Schnauzen am Boden. Der Steinbock drehte sich wieder um und erwog dieses seltsame Phänomen einen Moment länger. Dann widmete er sich erneut seinem Mahl, überzeugt, dass für ihn oder die Herde keine Gefahr bestand. Die beiden Wolken bewegten sich in der Ferne geräuschlos fort.
    Als der Steinbock den nächsten Grashalm mit den Zähnen aus dem Felsen riss, hatte er längst vergessen, dass es sie je gegeben hatte.
    Balthasar konnte nicht das Geringste sehen.
    Er ritt auf seinem Kamel quer durch das Wüstental und trat dem Tier mit aller Wucht in die Flanken. Balthasars Augen waren das Einzige, was durch die Kufija sichtbar war, die er zum Schutz gegen die Sonne und den Kamelgeruch trug. An beiden Seiten seines Tieres hing je eine zu voll gestopfte Satteltasche, und der Säbel an seinem Gürtel schwang heftig hin und her, während sie dahingaloppierten und die Wüste hinter sich aufwirbelten. Balthasar warf einen Blick zurück, um nachzusehen, wie nah seine Verfolger herangekommen waren, doch alles, was er erblickte, war die Wolke . Dieselbe riesige, unbarmherzige Wolke, die ihm seit Tel Arad hinterherjagte. Die Wolke, die es ihm unmöglich machte abzuschätzen, wie viele Männer ihm auf den Fersen waren. Dutzende? Hunderte? Unmöglich zu sagen. Derzeit handelte es sich um eine Wolke aus zahlenmäßig unbestimmtem Zorn.
    Aus Richtung der Wolke drang ein leises Pfeifen, beinahe wie Wind, der durch eine Schlucht fuhr. Erst war es bloß ein einzelner Ton, der stetig tiefer und mit jeder Sekunde lauter wurde. Zu dieser einen Note
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