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Vom Daemon verweht

Vom Daemon verweht

Titel: Vom Daemon verweht
Autoren: Julie Kenner
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Schielen zum Sitznachbarn, kein bösartiges Geifern. Kein verstohlenes Kichern oder hinterhältiges Lachen.
    Die Passagiere sahen alle ziemlich harmlos aus. Die Männer hatten sich größtenteils links im Bus breitgemacht, während die Frauen auf der rechten Seite saßen. Die meisten waren zu zweit und blätterten entweder gemeinsam einen Katalog durch, häkelten, strickten oder stritten sich über irgendeine unwichtige Angelegenheit. Einige wenige saßen allein und konzentrierten sich auf ein Kreuzworträtsel oder dösten vor sich hin.
    Keiner der Heimbewohner sah so aus, als ob er gerade plante, die Herrschaft des Fürsten der Finsternis über die Welt zu errichten.
    Und das ist, kurz gesagt, genau das Problem, wenn man es mit Dämonen zu tun hat, die auf Erden wandeln. Sie passen sich einfach zu gut an.
    Meistens schweben Dämonen da draußen im Äther umher. Sie existieren, nehmen aber mit uns keinen Kontakt auf. Mir gefällt die Idee zwar nicht, jedes Mal durch ein Meer von Dämonen zu waten, wenn ich zu meinem Wagen gehe, aber es ist immer noch besser, als einem in Menschengestalt in einer dunklen Gasse zu begegnen. Solange ein Dämon keinen Körper besitzt, kann er nicht viel mehr tun, als uns zu beobachten und sich danach zu sehnen, wir zu sein. Dämonen sind nämlich von der Idee besessen, Menschengestalt anzunehmen.
    Einige Dämonen wünschen sich das so sehr, dass sie sich dazu entschließen, einen Körper zu besetzen. Sie fahren in ihn, während der Mensch noch lebt, und halten dann die Seele des Opfers in einer dunklen, tiefen Spalte gefangen. Diese Art von Besessenheit ist nicht sehr subtil. Die Maskenbildner in Hollywood lagen nicht falsch, als sie Linda Blair aus dem Exorzisten schminkten. Mit anderen Worten: Dämonen werden nicht einfach den Elternbeirat in der Schule Ihrer Kinder infiltrieren. Zumindest nicht, ohne dass so etwas auffallen würde.
    Zum Glück (für uns alle) kommt es sehr selten zu dieser Besessenheit. Leider sind jedoch die häufiger auftretenden dämonischen Manifestationen weniger offensichtlich. Sie kennen doch diese ganzen medizinischen Wunder, von denen man immer wieder hört? Jemand stirbt während einer Operation und wird dann – einfach unfassbar! – wieder zum Leben erweckt?
    Oder ein anderer schafft es glatt, trotz eines massiven Schlags gegen den Kopf nach einer Massenkarambolage den Unfallort zu verlassen, als wäre nichts gewesen. Wieder ein anderer befindet sich fast zehn Minuten unter Wasser, weil er sich den Fuß irgendwo eingeklemmt hat, und dennoch überlebt er.
    Ich wette, dass Sie solche Leute bisher als verdammt glücklich eingeschätzt haben. Vielleicht sollten Sie das jetzt noch einmal überdenken. Neunundneunzig Prozent solcher Vorfälle gehen nämlich nicht auf das Konto wundersamer, unerklärlicher Vorfälle, sondern können allein auf Dämonen zurückgeführt werden.
    Natürlich stellt nicht jeder Körper einen geeigneten Gastgeber für einen Dämon dar. Nur die mächtigsten Dämonen können zum Beispiel den Körper eines besonders gläubigen Menschen infiltrieren und von ihm Besitz ergreifen. Denn die Seelen solcher Leute scheinen auffallend heftig zu kämpfen und schaffen es häufig, einen Dämon so lange zurückzuhalten, bis sich die Spalte, durch die er eindringen will, geschlossen hat.
    Meist gehen Dämonen außerdem älteren Leuten aus dem Weg. Sie bevorzugen die Jungen, Kräftigen und Gesunden (einmal abgesehen von der Tatsache, dass es sich natürlich immer um Tote handelt). Aber ich habe erst vor einigen Monaten am eigenen Leib erfahren müssen, dass Dämonen durchaus, wenn es Spitz auf Knopf steht, alles nehmen, was sie gerade in die Finger kriegen können.
    Kurz gesagt: Die meisten Dämonen sehen mehr oder weniger wie normale Menschen aus. Sie unterscheiden sich kaum von Ihnen oder mir.
    Zum Glück gibt es aber einige Merkmale, an denen man Dämonen, die in den Körper eines Menschen gefahren sind, erkennen kann. So betritt ein solches Monster zum Beispiel höchst ungern geweihten Boden. Ein durchschnittlicher, alltäglicher Dämon schafft es einfach nicht, den Fuß über die Schwelle einer Kirche oder eines ähnlichen Gebäudes zu setzen. Und wenn es ihm doch gelingen sollte, so tut ihm das (buchstäblich) höllisch weh. Doch die Wahrscheinlichkeit war ziemlich gering, dass es mir gelingen würde, Carl zu einer kurzen Stippvisite der Kathedrale zu überreden, um mit den Reisenden dort einen kleinen Testrundgang zu veranstalten. Klug wie ich
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