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Die Superreichen

Die Superreichen

Titel: Die Superreichen
Autoren: Chrystia Freeland
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Schluss
    »Wir mögen Demokratie haben oder Reichtum in den Händen der wenigen, aber wir können nicht beides haben.«
    Louis Brandeis 1
    »Die Gesellschaft, die Gleichheit vor Freiheit setzt, wird schließlich weder das eine noch das andere bekommen. Die Gesellschaft, die Freiheit vor Gleichheit stellt, wird schließlich ein hohes Maß an beidem erlangen.«
    Milton Friedman 2
    Die Lagunen der nordadriatischen Küste, aus denen sich schließlich Venedig entwickelte, wurden zuerst von Flüchtlingen aus Städten mit einem gesünderen Klima im Landesinnern besiedelt, die vor den aufeinanderfolgenden Invasionen von Hunnen und allerlei germanischen Stämmen flohen. Dieses Marschland, im Winter von Nebel geplagt, im Sommer von Insekten, war ein gutes Versteck: Nicht nur war es schwer zugänglich, es war auch so trostlos und ungastlich, dass es keinen Sinn ergab, es zu plündern.
    Doch im frühen 14. Jahrhundert war Venedig zur reichsten Stadt Europas aufgestiegen, hatte die dreifache Größe von London und war ebenso groß wie Paris. Venedig war eine imperiale Macht: Die Republik finanzierte den vierten Kreuzzug und erlangte die Oberhoheit über die fruchtbaren nördlichen Ebenen bis zum Gardasee und dem Fluss Adda im Norden und Westen, entlang der dalmatinischen Küste bis tief ins heutige Kroatien sowie im Mittelmeer, wo sie Zypern kontrollierte, und der Ägäis, wo sie über Kreta herrschte.
    Die wahre Macht der Serenissima, der »allerdurchlauchtesten Republik des heiligen Markus«, war der Handel. Auf ihrem Zenit schickte die Republik 36 000 Matrosen auf 3300 Schiffen auf die maritimen Handelsrouten der Welt. Venedig dominierte das Salzgeschäft – das Öl der Epoche – und den Handel mit Byzanz und dem Nahen Osten. Der venezianische Kaufmann Marco Polo machte mit seinem Bericht über seinen Besuch im Reich der Mitte Westeuropa mit China bekannt; sein Vater, ebenfalls Händler, hatte Geschäfte mit der Goldenen Horde getrieben. Als der Dichter und Geschichtsschreiber Francesco Petrarca im 14. Jahrhundert in der Stadt weilte, an einem venezianischen Fenster mit Blick auf das Markusbecken saß und einem Freund seine Eindrücke mitteilte, äußerte er sich voller Bewunderung über das Handelsgeschick der Venezianer und den geschäftlichen Ehrgeiz, der sie beseelte, und er war tief beeindruckt von den großen Schiffen, die ihm eher vorkamen »wie eine Art von Berg, der auf dem Meer schwimmt. … Eines dieser Schiffe sollte wahrscheinlich zum Don aufbrechen, denn dieser Fluss bildet die Grenze der Schifffahrt im Schwarzen Meer; doch einige seiner Passagiere werden dort von Bord gehen und weiterreisen und erst innehalten, wenn sie den Ganges erreicht haben und den Kaukasus und die entferntesten Teile Indiens und das Meer im Osten. Woher rührt dieses brennende, unstillbare Verlangen nach Besitztümern, das den Geist der Menschen beherrscht?« 3
    Venedig schuldete seine Macht und sein Geld der Superelite des Zeitalters und dem politischen und wirtschaftlichen System, das sie hervorbrachte. Im Herzen der venezianischen Wirtschaft stand die commenda , eine elementare Form der Aktiengesellschaft, die für die Dauer einer Handelsmission bestand. Die Meisterleistung der commenda war, dass sie neue Teilnehmer in die Wirtschaft brachte. Es war eine Partnerschaft zwischen einem »sesshaften« Investor, der die Fahrt finanzierte, und einem Reisenden, der die Beschwerlichkeit und das Risiko der Handelsfahrt auf sich nahm. Wenn der sesshafte Partner die gesamte Mission bezahlte, erhielt er 75 Prozent des Profits; wenn er zwei Drittel der Reise finanzierte, bekam er die Hälfte. Die commenda war eine machtvolle Triebkraft des Wirtschaftswachstums und der sozialen Mobilität: Historiker stellten bei Regierungsdokumenten der Jahre 960, 971 und 982 fest, dass unter den Bürgern der Elite neue Namen jeweils deutlich in der Überzahl waren. 4
    Venedigs Elite war der Hauptnutznießer des Aufstiegs des Stadtstaats. Aber wie bei allen offenen Wirtschaften waren ihre Geschicke bewegt. Wir halten soziale Mobilität für einen Wert an sich, aber wer schon an der Spitze steht, für den bedeutet Mobilität auch Konkurrenz von Außenstehenden. Obwohl dieser Zyklus des Auf- und Abstiegs in kreativer Zerstörung die venezianische Oberschicht hervorgebracht hatte, trachtete diese auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen Macht der Stadt danach, ihre Privilegien ein für alle Mal zu zementieren. Venedig war unter einem verhältnismäßig offenen
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