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Blutnetz

Blutnetz

Titel: Blutnetz
Autoren: Clive Cussler , Justin Scott
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    17. März 1908 Washington, D. C.
    Der Washington Navy Yard schlummerte wie eine antike Stadt, beschützt von soliden Mauern und einem Fluss. Alte Männer hielten Wache, trotteten von einer elektrischen Stechuhr zur nächsten, um ihre Rundgänge durch Fabrikationshallen, Materiallager, Werkstätten und Baracken zu dokumentieren. Außerhalb des Geländes erhob sich als ein düsterer Schattenberg die Ansammlung verdunkelter Arbeiter Unterkünfte. Capitol Dome und Washington Monument krönten den Berg und glitzerten im Licht des Vollmondes wie polare Eiskappen. Ein Eisenbahnzug näherte sich, stieß dichte Dampfwolken aus und ließ die Warnglocke durch die Nacht hallen.
    US-Marineposten öffneten das North Railroad Gate.
    Niemand sah Yamamoto Kenta in seinem Versteck unter dem Baltimore & Ohio-Flachwagen, den die Lokomotive aufs Werftgelände schob. Die Räder des Güterwagens knirschten unter einer Ladung fünfunddreißig Zentimeter dicker Panzerplatten aus Bethlehem, Pennsylvania, auf den Schienen. Bremser koppelten den Güterwagen auf einem Nebengleis ab, während die Lokomotive zurücksetzte.
    Yamamoto Kenta ließ sich vorsichtig auf die Holzschwelen und den Schotter zwischen den Schienen hinab. Er blieb still liegen, bis er ganz sicher war, allein zu sein. Dann folgte er den Gleisen in die dicht gestaffelte Ansammlung dreistöckiger Gebäude aus Backstein und Eisen, in denen die Naval Gun Factory untergebracht war.
    Mondlicht, das durch hohe Fenster drang, und die rot leuchtende Glut einer Reihe hoher Schmelzöfen erhellten eine riesige Halle. Laufkräne schlummerten in den Schatten unter dem Dach. Mächtige, fünfzig Tonnen schwere Geschützrohre für Großkampfschiffe, auch Dreadnoughts genannt, bedeckten den Hallenboden, als hätte ein Feuersturm einen stählernen Wald entwurzelt.
    Yamamoto Kenta, ein Japaner mittleren Alters, mit ersten grauen Strähnen in seinem glänzenden schwarzen Haar und einem selbstsicheren, würdevollen Auftreten, suchte sich zielsicher seinen Weg abseits der Routen, an die sich die Nachtwächter bei ihren Rundgängen halten mussten, und inspizierte eingehend Drehbänke, Maschinen zum Ziehen von Geschützläufen sowie einige Schmelzöfen. Vor allem interessierten ihn tiefe Schächte im Hallenboden, die mit Ziegeln ausgekleideten Schrumpfgruben, in denen fünfzehn Meter lange Rohre mit Stahlplatten ummantelt wurden. Dabei entging seinen Augen nichts. Sie waren durch ähnliche heimliche Besichtigunstouren bei Vickers und Krupp - den englischen und deutschen Schiffsgeschützfabriken - sowie in den Geschützschmieden des russischen Zaren in St. Petersburg geschärft worden.
    Ein altmodisches Yale-Zylinderschloss sicherte die Tür zum Vorratsraum des Labors, der die Ingenieure und Wissenschaftler mit den Grundmaterialien versorgte, die für ihre Arbeit notwendig waren. Kenta hatte keinerlei Probleme, es mit seinem Spezialwerkzeug schnell zu öffnen. In den Schränken suchte er nach Jod, wurde fündig und schüttete sechs Unzen der glänzenden schwarzblauen Kristalle in einen Briefumschlag. Dann schrieb er »kristallines Jod, 6 Unzen« auf ein Anforderungsformblatt und notierte dahinter die Initialen »AL« des legendären Chefkonstrukteurs der Waffenfabrik, Arthur Langner.
    In einem abgelegenen Flügel des weitläufigen Gebäudes fand er das Testbecken, in dem Spezialisten für Panzerung Torpedo-Angriffe simulierten, um die Wirkung der um ein Vierfaches verstärkten Unterwasserexplosionen zu messen. Die Seemächte, die beim Bau immer größerer Schlachtschiffe hektisch miteinander wetteiferten, führten in geradezu fieberhafter Hast Experimente durch, Torpedos mit TNT- Sprengladungen zu bewaffnen. Yamamoto Kenta stellte jedoch fest, dass die Amerikaner immer noch Tests mit chemischen Mixturen vornahmen, die auf Explosivstoffen mit Schießbaumwolle als Grundlage basierten. Er stahl einen Sack aus Seidenstoff, der mit raucharmem modifiziertem Kordit gefüllt war.
    Während er die Tür eines Materialschranks öffnete, der in den Dienstbereich des Hausmeisters gehörte, um eine Flasche Ammoniakwasser zu entwenden, hörte er einen Nachtwächter kommen. Er versteckte sich in dem Wandschrank, bis der alte Mann vorbeigeschlurft und zwischen den Geschützen verschwunden war.
    Schnell und lautlos huschte Yamamoto Kenta die Treppe hinauf.
    Arthur Langners Zeichen- und Konstruktionsatelier, das nicht abgeschlossen war, entpuppte sich als die Werkstatt eines Exzentrikers, dessen Genialität sich sowohl
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