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Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Titel: Tante Dimity und der Fremde im Schnee
Autoren: Nancy Atherton
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und ich muss Lilian enttäuschen.«
    »Zur Linderung erstgenannter Wunde kann ich wenig beitragen«, sagte Willis senior. »Aber beim zweiten Problem kann ich vielleicht helfen.« Er strich mit dem Finger über seine makellos rasierte Wange.
    »Möglicherweise könnte ich Bills Rolle im Krippenspiel übernehmen.«
    Blitzschnell richtete ich mich wieder auf. »Ist das dein Ernst?«
    »Ich bin sicherlich kein herausragender Thespisjünger«, warnte Willis senior. »Aber ich denke schon, dass ich die Rolle des Joseph ausfüllen kann, ohne dass es mir selbst oder Mrs Bunting peinlich sein müsste.«

    »Lilian wird zu Tränen gerührt sein«, versicherte ich ihm.
    »Dann teile ihr doch bitte mit, dass sie einen neuen Joseph bekommt«, verkündete Willis senior. Er griff wieder zu seinem Roman. »Ich nehme an, du willst dein diplomatisches Geschick jetzt oben einsetzen.«
    Ich strahlte ihn an. »Was würde ich nur ohne dich machen, William?«
    »Das wage ich mir nicht vorzustellen«, erwiderte er.
    Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und ging die Treppe hinauf, in der Hoffnung, dass Bill noch wach war. Auf dem Treppenabsatz wandte ich mich automatisch zunächst dem Kinderzimmer zu, um nach den Zwillingen zu schauen. Als ich die Tür öffnete, sah ich im Halbdunkel, dass Bill mir zuvorgekommen war.
    Schweigend beobachtete ich, wie mein Mann sich niederbeugte und ein niedliches rosafarbenes Flanellkaninchen am Fußende von Robs Kinderbettchen platzierte. Als er sich aufrichtete, flüsterte ich: »Es tut mir leid.«
    »Das sollte es auch«, entgegnete Bill, zeigte mir jedoch durch seine ausgestreckte Hand, dass er nicht mehr böse auf mich war.
    »Sei ganz beruhigt.« Ich ergriff seine Hand.

    »Von heute an werden wir ausgesprochen besinnliche Feiertage erleben. Bis auf die Party am Heiligabend.«
    »Bis dahin bin ich wieder fit.« Bill zog mich zu sich heran und legte seine Arme um mich. »Deine Reue soll belohnt werden, mein Schatz«, flüsterte er mir ins Ohr.
    »Wie denn?«, hauchte ich und strich ihm durchs Haar.
    »Mit Schnee«, antwortete er.
    Meine Hände rutschten auf seine Schultern.
    Diese Antwort hatte ich nicht erwartet. Bill zog mich zum Fenster. »Ich weiß nicht, ob es bis Weihnachten halten wird, aber es ist immerhin ein Anfang.«
    Vor dem Fenster tanzten glänzende Schneeflocken und wirbelten im Wind umher, einige klatschten gegen das Glas, andere schossen in die Dunkelheit. Schon bedeckten sie den Steinpfad. Es war berauschend und hypnotisch, und es war die Antwort auf mein Gebet. Wie verzaubert hätte ich wohl die ganze Nacht am Fenster gestanden, hätte mein Mann nicht einen Vorschlag gemacht, wie wir den Abend noch besser beschließen könnten.

    Stunden später, als Bill und ich längst schliefen, und lange nachdem Willis senior sein Buch zugeklappt, das Feuer erstickt hatte und nach oben in sein Bett gegangen war, fiel der Schnee noch immer. Er kräuselte sich wie ein Hermelinpelz um die nackten Zweige, füllte die Furchen auf den gepflügten Feldern und wehte sanft über den Weg zu unserem Haus. Dort lag eine zerlumpte Gestalt.
    Das Geschenk, das der Fremde bei sich trug, hätte ihn fast das Leben gekostet.

2
    AM NÄCHSTEN MORGEN wurde ich von einem sanften Klopfen an der Tür geweckt. Ich blieb noch einen Augenblick liegen und kuschelte mich an Bills warmen Körper, dann stieg ich aus dem Bett und zog den klassischen Morgenmantel über, den ich in London erstanden hatte. Kurz blieb ich vor dem Spiegel stehen und bewunderte das graublaue Muster, bevor ich auf Zehenspitzen auf den Flur ging.
    Mein Schwiegervater erwartete mich. Er hatte sich bereits angezogen und schien ehrlich betrübt. »Es tut mir leid, dass ich dich aufgeweckt habe, aber meine Enkel sind schon den ganzen Morgen äußerst lebhaft, und ich finde einfach kein Mittel, sie zu beruhigen.« Er zögerte kurz.
    »Hast du irgendeine Ahnung, was mit ›alt‹ gemeint sein könnte?«
    »Alt?«, echote ich dümmlich.
    Willis senior nickte. »Rob und Will wiederholen es die ganze Zeit, alt, alt, alt, als hätte es eine ganz besondere Bedeutung.«
    Meine Nackenhaare richteten sich auf. Bislang hatte das identifizierbare Vokabular der Zwillinge aus einer Handvoll grundlegender Ausdrücke wie »Mama« und »Dada« bestanden, dazu das hoch originelle »Gaga«, das – so war zu hoffen –
    Großvater bedeuten sollte. Hatten meine beiden kleinen Genies ihrem Wortschatz etwa ein richtiges Adjektiv hinzugefügt?
    »Wo sind sie?«, fragte ich.
    »Im
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