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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin
Autoren: Friedrich Ani
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und einen letzten Blick ins Zimmer zu werfen.
    Soraya gab glucksende Laute von sich. Und dann versteinerte ihre Miene wieder.
    Sie wartete, dass ich aufhörte zu schweigen, und das fiel mir schwer.
    »Ich muss mit Ihnen über Franz Grosso sprechen«, sagte ich leise.
    Soraya senkte den Kopf.
    »Er ist verhungert.« Sie blieb stumm.
    »Ihr Freund, Herr Aroppa, sagt, sein Vetter war in einem Hungerstreik. Wegen Ihnen. Er wollte Sie zwingen zurückzukehren…«
    »Glauben Sie das?«, unterbrach sie mich und sah mich an.
    Ich sagte: »Ja.«
    »Warum denn?«
    »Weil ich es für möglich halte.« Sie senkte wieder den Kopf.
    »Warum sind Sie nicht mit ihm nach Italien gegangen?«, fragte ich.
    »Warum mit einem anderen Mann?«
    »Ich hab Gott auf die Probe gestellt«, sagte sie mit dünner Stimme.
    »Ich hab sie mir eingeredet, die Liebe, aber diese Liebe ist keine Liebe, diese Liebe ist Schmutz. Man darf seinen Vater nicht so lieben, wie ich es getan hab, und kein Vater darf so lieben, wie er es getan hat, das ist verwerflich und eine Sünde und ein Verbrechen auch. Und der andere Mann, der ist bloß da gewesen und hat nichts damit zu tun gehabt, der ist gekommen, und ich hab ihn gesehen und ich hab verstanden. Er ist ein Zeichen gewesen, und ich hab das Zeichen erkannt. Ich hab es erkannt. Und ich hab zu ihm gesagt, nimm mich mit, damit ich aus dem Frevel herauskomm und damit der Schmutz und der Ekel von mir abfallen in einem anderen Land, in einem Alleinsein, wo ich Gott sagen kann, wie sehr ich bereu. Und das tu ich jetzt seit vielen Jahren, und es sind noch nicht viele Jahre genug. So ist das gewesen. Ich hab vierzig Jahre alt werden müssen, um zu begreifen, was ich getan hab, vierzig Jahre, schon erwachsen und ein verstoßenes Kind. Ich hab Gott auf die Probe gestellt, ich hab sogar jemand umbringen wollen, weil ich so war, wie ich war, weil die schmutzige Liebe mich dumpf und böse gemacht hat. Und Severin hat mich errettet, er hat nicht gefragt, er hat sogar seinen Vetter verraten wegen mir, er hat auch gelogen wegen mir, er hat allen Leuten gesagt, ich komm aus einem Bordell, und er hat mich rausgekauft. Er hat gelogen für mich, und er hat seinen Vetter, den er geliebt hat, betrogen. Er hat mich in sein Haus mitgenommen, aus freien Stücken. Und wenn ich einmal angerufen hätt zu Haus, wär ich wieder beschmutzt worden und hätt mich versündigt, das hört nicht auf. Ich hab nicht anrufen können, das hab ich nicht können und nicht dürfen und auch nicht wollen, später. Am Anfang schon. Am Anfang wollt ich anrufen und sagen, ich bin hier und komm nicht mehr. Aber dann hab ich Severin gesagt, er soll mich einsperren, hier im Zimmer einsperren, die Tür verriegeln und das Rollo zumachen, ich hab ihn angefleht, und er hat es gemacht, für mich. Und ich hab fünf Monate das Zimmer nicht verlassen, nur kurz, einmal am Tag, um mich zu waschen, und dann musste es dunkel sein, überall dunkel, damit mich kein Auge sehen konnte, mich Dreck. Danach hab ich mich nicht mehr melden können zu Haus, auch nicht, als meine Mutter gestorben ist, arme Mutter, sie hat alles mit ansehen müssen, und ich hab sie ausgelacht, ich hab zu ihr gesagt, sie weiß gar nicht, was Liebe ist. Ich hab doch gedacht, dass das eine richtige Liebe ist, eine, die sein darf, das hab ich doch gedacht, seit ich zehn war oder erst sieben, ich hab das geglaubt und mein Vater auch. Ich wollt nie einen anderen Mann haben als meinen Vater, ich hätt alles für den gemacht, ich hab sogar einen Menschen umbringen wollen für ihn, die anderen Männer haben mich nicht verstanden. Nein.«
    Sie atmete laut, unter dem schwarzen Kleid hob und senkte sich ihr Bauch und sie umklammerte das kleine Buch in ihrem Schoß.
    »Und ich bin auch nicht ausgezogen, wo hätt ich denn hinziehen sollen, wohin denn? Die Männer wollten immer, dass ich sie heirat, die haben nicht gewusst, dass ich schon verheiratet war. Das war ich eigentlich, ich hab mich so gefühlt, ich hatt ein verheiratetes Gefühl, und meine Mutter hat mir das ins Gesicht geschrien, dass ich mit meinem Vater verheiratet bin und nicht sie. Und nicht sie. Das hab ich geglaubt, ich hab ihr gesagt, ja, das stimmt, Mama. Ja, das stimmt. Wir sind nach München gezogen von Pirmasens, das war schön, ich hab das Bayerische gleich gern gehabt, meine Mutter wollte, dass wir wegziehen aus der Pfalz, weil sie hat sich geniert. Und ich nicht.« Auf einmal streckte sie den Arm aus und nahm meine Hand. Und ihre Hand war
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