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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin
Autoren: Friedrich Ani
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ansonsten keine Kompetenzen überschreiten.
    »Ich mag keine Uniformen«, sagte Martin. Den nächsten Tag verbrachten wir im Park der Villa und tranken abends mehrere Flaschen gekeltertes Abendrot.
    »Ich an eurer Stelle«, sagte Sonja Feyerabend, mit der wir unter den Kiwistauden saßen, beobachtet von den drei Hunden, die gleichzeitig den Hahn in Schach hielten, der wiederum seinen schlaftrunkenen Harem bewachte, »hätte etwas Angst vor dem, was der Mann erzählen könnte.« Ich hatte Angst, aber das sagte ich ihr nicht.

14
    I n der zunehmenden Leere der Flasche lag meine Zuversicht. In den ersten zwei Stunden seines Besuchs hatte Severino Aroppa nahezu nichts gesprochen, er hatte Martin und mich nach unserer Arbeit befragt, nach Alltagsdingen, und vor allem Martin hatte ihm geantwortet, weil ich glaubte, mein Beitrag sei das Schweigen. Und daneben tranken wir Grappa, ein Getränk, das Martin und ich selten anrührten, nur unter Zwang und wenn sonst überhaupt nichts mehr half. Aber Aroppa schenkte uns ein und hob sein Glas, ohne uns in die Augen zu sehen, und trank.
    »Wir sind auch für unbekannte Tote zuständig«, sagte Martin.
    »Und so beschäftigten wir uns mit Ihrem Vetter.«
    »Francesco«, sagte Aroppa, als müsse er sich den Namen einprägen.
    »Francesco. Ein Weltreisender, Reisender in die Welt, in der Welt?«
    »Egal«, sagte ich.
    »Egal«, sagte er.
    »Deutschland, Schweden, Frankreich, Österreich. Aber…« Erst brauchte er wieder einen Schluck Grappa, er trank in kleinen Schlucken und behielt das Glas in der Hand.
    »Aber… kein Beruf. Keine Ausbildung, nur eine… Traum, nein… ein Wunsch. Mein Vetter war ein Wunschmensch, er bestand aus Wünschen, nicht aus Wirklichkeit. Wirklichkeit?« Er nippte an seinem Glas.
    »Kleiner Junge…« Er streckte den Arm und zeigte ungefähr einen Meter Höhe an.
    »So… Wunsch, im Luftballon um die Welt, im Ballon in der Luft…«
    »In einem Heißluftballon«, sagte ich.
    »Ballon, Hauptsache Ballon, egal ob Heißluft oder normale Luft. Mit Ballon um die Welt. Ein Wunschmensch.«
    »Und seine Eltern?«, sagte ich.
    »Erfüllten sie ihm einige seiner Wünsche?«
    »Keinen. Arme Eltern, sein Vater, der Bruder meines Vaters, ging weg, Mutter hatte keine Zeit, musste arbeiten, viel arbeiten, in Wäscherei, in Kaufhaus später, Francesco war viel allein als Kind, allein auf der Straße. Er ist bald auch weg wie sein Vater, nach Bozen, in eine Fabrik, er arbeitete hart, er hat mir Karten geschrieben, viele Karten, seiner Mama nicht, mir viele Karten. Er wollte unterwegs gehen, nicht an einem Ort bleiben, da arbeiten, da arbeiten, ich sagte zu ihm, das ist schlecht, du brauchst ein Zuhause, er sagte, zu Hause ist alt sein. Zu Hause ist alt sein.« Er goss Schnaps in sein Glas, schaute unsere Gläser an, die noch halbvoll waren, und schraubte den Deckel zu. Das tat er jedesmal, wenn er nachschenkte.
    »Ich hab immer gewusst, wo er ist, immer. Auch in München. In München, da ist er lange gewesen, länger als überall woanders, München, hat er gesagt, ist wie Italien. Entschuldigen Sie, Italien ist in Italien und nirgendwo sonst? Nein?«
    »Sie haben Recht«, sagte ich.
    »Ja!«, sagte er.
    »Aber mein Vetter Francesco… München! Und Soraya.« Er wollte trinken, aber dann setzte er das Glas ab, warf mir einen schnellen Blick zu und lehnte sich zurück. Er saß in dem blauen Sessel mit den breiten Lehnen.
    »Gewitter«, sagte er.
    »Heute Gewitter.« Ich schwieg. Martin saß Aroppa auf der Couch gegenüber, ich auf einem Holzstuhl, vornübergebeugt.
    »Seine Liebe«, sagte ich.
    » Si « , sagte er.
    »Liebe und… und Vergottung, Vergottung?«
    »Vergöttlichung?«, sagte ich.
    »Vergöttlichung? Schweres Wort, schweres Tun. Soraya. Er schrieb mir Karten, jede Woche, von München, ich wusste, wie München aussieht, bevor ich dort war, von Ansichtskarten. Nicht sehr italienisch, entschuldigen Sie. Bier, große… große Frauenbrüste, Bärte… Auf dem Kopf, auf dem Hut…«
    »Gamsbärte«, sagte ich.
    »Gamsbärte«, sagte er. Nachdem er getrunken hatte, zog er die Lippen nach innen und senkte den Kopf. Seine Augen blickten noch müder als beim ersten Mal, und er trug einen Leinenanzug, dessen Glanzzeit vorüber war.
    »Haben Sie auch mal in Deutschland gelebt?«, fragte Martin.
    Am Anfang hatte Aroppa uns erzählt, seine Eltern, wohlhabende Mediziner, hätten zu Hause oft deutsch gesprochen, wegen der Großmutter, die aus Österreich stammte, und seien im
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