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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah
Autoren: Stef Penney
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    St.-Luke’s-Krankenhaus
    Als ich aufwache, kann ich mich an nichts erinnern – bis auf eins. Und auch das nur sehr eingeschränkt: Ich erinnere mich, dass ich auf dem Rücken lag, während die Frau rittlings mit kreisenden Hüften auf mir saß. Mir scheint, dass ich beschämend schnell kam; allerdings war das letzte Mal auch eine Weile her. Das Problem ist, ich erinnere mich daran, wie es sich angefühlt hat, aber nicht, wie irgendetwas ausgesehen hat. Ich kann mir ihr Gesicht nicht vorstellen. Ebenso wenig die Umgebung. Ich kann mir gar nichts vorstellen. Dabei gebe ich mir große Mühe, weil ich Angst habe.
    Nach einer Weile kommt eine Erinnerung zurück: der Geschmack von Asche.
    Wie sich herausstellt, könnte der Gedächtnisverlust mein geringstes Problem sein. Technisch gesehen befinde ich mich in einem Zustand »verminderter Schuldfähigkeit«. Zu diesem Schluss ist die Polizei gelangt, nachdem sie mich im Krankenhaus aufgesucht hat. Ich bin in einem Ort namens Downham Wood nahe der Grenze zwischen Hampshire und Surrey mit dem Wagen durch einen Zaun und gegen einen Baum gefahren. Ich kenne Downham Wood nicht und habe keine Ahnung, was ich dort gemacht habe. Ich kann mich nicht daran erinnern, durch Zäune und gegen Bäume gefahren zu sein. Warum sollte ich – warum sollte irgendjemand – so etwas tun?
    Eine der Krankenschwestern sagt mir, dass die Polizei die Angelegenheit unter diesen Umständen nicht weiterverfolgen wird.
    »Welche Umstände?«
    Das ist, was ich sagen will, aber ich spreche nicht besonders deutlich. Meine Zunge fühlt sich dick und träge an. Die Krankenschwester scheint daran gewöhnt zu sein.
    »Sie werden sich sicher bald erinnern, Ray.«
    Sie hebt meinen rechten Arm hoch, der wie ein Klumpen Fleisch neben mir auf dem Bett liegt, streicht die Decke glatt und legt ihn wieder zurück.
    Anscheinend war Folgendes passiert.
    Ein Jogger lief seine übliche Morgenrunde durch den Wald, als er einen Wagen bemerkte, der von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt war. Er bemerkte, dass jemand in dem Wagen saß. Er lief zum nächsten Haus und rief die Polizei an. Sie kam zusammen mit einer Ambulanz und einem Feuerwehrwagen. Zu aller Überraschung hatte der Fahrer des Autos nicht den kleinsten Kratzer davongetragen. Zuerst nahmen sie an, er sei betrunken gewesen, dann, er hätte Drogen genommen. Der Fahrer – ich – saß am Steuer, konnte aber nicht sprechen und sich bis auf ein krampfhaftes Zucken auch nicht bewegen.
    Es war der 1. August, der sich zu einem atemlosen, milchig tintenblauen Tag entwickelte, so wie Augusttage eigentlich immer sein sollten, aber so selten sind.
    All das erzählte mir jemand, an den ich mich nicht erinnere. Wer immer es war, sagte zudem, dass ich in den ersten vierundzwanzig Stunden überhaupt nicht hätte sprechen können – meine Zunge und die Muskeln in meiner Kehle waren gelähmt, ebenso der Rest meines Körpers. Meine Pupillen waren erweitert, mein Puls raste. Ich war glühend heiß. Als ich zu sprechen versuchte, brachte ich nur ein unverständliches Gurgeln hervor. Da ich keine äußeren Verletzungen erlitten hatte, wartete man ab, ob die Untersuchungsergebnisse einen Schlaganfall, einen Hirntumor oder doch eine Überdosis Drogen ergeben würden.
    Ich konnte nicht eine Sekunde lang die Augen schließen.
    In dieser Zeit dachte ich nicht weiter über die Ursache meines Zustandes nach. Ich war verwirrt und delirös, konnte mich nicht bewegen und wurde von einer albtraumhaften Vision verfolgt, die ich nicht näher benennen konnte. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich das überhaupt wollte. Sie verstörte mich, weil sie mir wie eine Erinnerung vorkam, was aber nicht möglich war, denn eine Frau, so geheimnisvoll sie auch sein mag, ist weder Hund noch Katze. Eine Frau hat keine Krallen oder Fänge. Eine Frau ruft kein solches Entsetzen hervor. Das sage ich mir immer wieder. Ich verwechsle Halluzinationen mit Erinnerungen. Ich bin nicht zurechnungsfähig. Mit etwas Glück war das alles – genau wie die ersten drei Staffeln von Dallas – nur ein Traum.
    Jetzt beugt sich jemand über mich, ein Gesicht mit einer dicken schwarz gerahmten Brille; blondes Haar, streng zurückgekämmt, eine hohe gewölbte Stirn. Sie erinnert mich an einen Seehund. Sie hat ein Klemmbrett in der Hand.
    »Na, Ray, wie geht es Ihnen? Die gute Nachricht ist, dass Sie keinen Schlaganfall erlitten haben.«
    Sie scheint mich zu kennen. Und ich kenne sie auch von irgendwoher,
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