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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin
Autoren: Friedrich Ani
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weich, obwohl sie schmal und knochig war.
    »Meine Mutter hat gewusst, dass so eine Liebe ein Schmutz ist, aber sie hat sich nicht getraut, uns auseinanderzubringen. Mein Vater hat sie manchmal geschlagen, weil sie Tabletten genommen hat und sterben wollt, er hat sie geschlagen, und sie hat geweint, die ganze Nacht, und ich bin zu ihr ins Zimmer gegangen und hab sie trösten wollen und gesagt, wie Leid mir das tut und alles, wie Leid. Und dann bin ich wieder zu meinem Vater gegangen zum Lieben. Das war mein Leben, bis ich vierzig war. Und Gott hat es nicht gegeben für uns, nur uns. Nur uns und nicht Gott. Und für meine Mutter auch nicht. Und die Männer haben gedacht, ich spiel mit ihnen und nutz sie aus, ich hab sie nicht ausgenutzt, ich hab sie gemocht, ich hab auch mit ihnen Sex gehabt, das hat mein Vater mir nicht verboten, ich hab ihm davon erzählt, aus freien Stücken, ich hab ihm gesagt, wer mich heiraten will, und er hat gesagt, das geht nicht, ich bin doch schon mit ihm verheiratet, und da hab ich ihm Recht gegeben.«
    Sie sah mich an. Mit einer Hand hielt sie das kleine Buch fest, mit der anderen mein Handgelenk. Die Sonne schien ins Zimmer und die Geräusche draußen wurden weniger, die Mittagsstille begann.
    »Gott hat mich nicht aufgegeben, das ist die einzige Liebe, die es gibt für mich, endlich weiß ich es. Gott hat mir Severin geschickt, und der hat mich mitgenommen in sein Dorf, in sein Haus, und hier lebe ich und manchmal gehe ich in die Kirche und danke Gott für die Gnade. Ich bitte Sie, sagen Sie meinem Vater nicht, wo ich bin, ich bitte Sie, Sie dürfen es ihm nicht sagen! Sagen Sie ihm nicht, wo ich lebe!«
    »Ich verspreche es«, sagte ich. Sie senkte den Kopf und drückte mein Handgelenk.
    »Ich werde ihm sagen, dass Sie leben und gesund sind.«
    »Ja«, sagte sie.
    »Ich bin gesund und lebe und bete jeden Tag zum himmlischen Vater.«
    Schwerfällig wie eine alte Frau richtete sie sich wieder auf dem harten Holzstuhl auf.
    »Jemand hat mich gebeten, Sie zu grüßen, wenn ich Sie finde«, sagte ich.
    »Ich möcht nicht gegrüßt werden«, sagte sie leise.
    »Ich werde ihm sagen, ich hätte Sie gegrüßt«, sagte ich.
    »Danke«, sagte sie.
    Ich wollte gehen, aber ich schaffte es nicht aufzustehen. Ich war hierher gekommen, um zu verstehen, und nun verstand ich und hatte nur ein Schweigen dafür, mein altes treues Schweigen. Und nach meiner Rückkehr würde ich einen Bericht verfassen, in dem ich den Fall der verschwundenen Soraya Roos aus der Gollierstraße in München als erfolgreich beendet erklären würde. Sie entschied sich für ein neues Leben an einem Ort, den sie nicht preisgeben möchte. So ungefähr würde die Formulierung lauten, korrekt und endgültig. Nach mehr als zehn Jahren hatten wir eine Vermissung ohne Totauffindung abgeschlossen, obwohl wir von einem bestimmten Zeitpunkt an ein Verbrechen für wahrscheinlich gehalten hatten, und Volker Thon würde mich loben. In der Stille des Zimmers, in der Nähe der verstummten Frau war ich nur ein Fremder, der zugehört hatte. Und das wollte ich bleiben, bis eine Geste von ihr mir sagen würde: Es ist Zeit, in deine eigene Wirklichkeit zurückzukehren, in der du unverstoßen weiterexistieren kannst.
    Am selben Tag stellte sich Ewald Sturm meinen Kollegen von der Mordkommission. Er sagte, er habe vor mehr als zehn Jahren aus Eifersucht einen Mann überfahren und töten wollen. Seine Angebetete aber habe daraufhin nichts mehr von ihm wissen wollen. Und jetzt, nach der langen Zeit, zwinge sein Gewissen ihn, die Wahrheit zu gestehen.

16
    A m Morgen nach meinem Besuch bei Soraya Roos hatte Roderich Hefele Martin und mich in seinem Mercedes nach Triest gefahren, wo wir den Zug nach Venedig nahmen, um von dort nach München zurückzukehren. Ich hatte keine von Hefeles Fragen beantwortet, und er drohte, sich bei meinem »Vorgesetschten« über mich zu beschweren. Sonja blieb noch vier weitere Tage in Tissano, was sie bald bereute.
    »Jede Nacht?«, fragte Martin.
    »Jede Nacht«, sagte ich.
    »Arme Sonja.«
    »Der Hahn muss sein Leid irgendwie loswerden«, sagte ich.
    »Und was anderes als krähen kann er nicht.« Sonja hatte mir am Telefon vom allnächtlichen Terror erzählt.
    »Worüber hat die Frau so gelacht?«, sagte Martin. Diese Frage hatte er mir schon im Dorf und auf der Zugfahrt gestellt, und nun versuchte er es wieder, weil er dachte, ich würde nach vier Hellen schwach werden.
    »Ist nicht wichtig«, sagte ich. Dann schwiegen
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