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Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis

Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis

Titel: Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis
Autoren: Tobias O. Meissner
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noch neunundvierzig bis zum Ende
    Der Himmel, grau in grau, spie weichen Regen über das Land. Wolken hetzten von Süd nach Nord, ineinanderrasend, zerreißend und getrieben.
    Die kleine Kapelle, die in der Nähe des Dämonenschlundes errichtet worden war, damit Pilgerfahrer hier beten und spenden konnten, duckte sich verschattet und glänzend unter dem Ansturm der Elemente.
    Mit hochgeschlagenem Mantelkragen, aus dem das Wasser perlte, band Dirgin Kresterfell sein störrisches Maultier an einer geborstenen Säule an und schüttelte sich unbehaglich. Von den sonst scharf umrissenen Konturen der Brüchigen Berge waren nur fahle Gespenster zu sehen. Dieser Regen wusch alles aus. Die gesamte Jahreszeit, ein nasser und winddurchtoster Herbst, versank im Morast.
    Als Dirgin Kresterfell sein faltiges, von grauen Bartstoppeln befallenes Gesicht dem Schlund zuwandte – der von hier aus schlecht zu sehen war, nur zu erahnen als lochförmige Unterbrechung des Landes –, konnte er trotz des Regens und trotz des stürmischen Brausens diesen eigentümlichen Eiklargeruch wittern, der demunheimlichen Abgrund zu eigen war. Unruhig zerrte das Maultier an seinem ausgefransten Zügel. Kein lebendes Wesen wagte sich gern an den Schlund heran, doch Dirgin Kresterfell hatte einen Eid geleistet, und er gedachte, ihn bei jedem Wind und Wetter zu erfüllen.
    Viermal im Jahr kam er hierher, auf Pilgerfahrt, wie er es nannte, um Stücke zu spenden, einen Laib Brot, ein Gefäß mit Farbe und alte Kinderkleidung seiner Tochter Lehenna, die vor einundzwanzig Jahren im schrecklichen Krieg zwischen dem Sechsten und dem Fünften Baronat verschont worden war, die hatte überleben dürfen aufgrund der Gnade des einzigen wahrlich überdauernden Gottes.
    Was für ein Wahnsinn das gewesen war!
    Die Baroness Meridienn den Dauren war plötzlich verrückt geworden, hatte ihr Baronat in Irathindurien umbenannt und begonnen, gegen das gesamte übrige Land Orison Krieg zu führen. Lehenna Kresterfell hatte sich damals freiwillig zu den Waffen gemeldet, mitgerissen von den aufpeitschenden Worten der schönen Baroness, noch bevor diese sich in das Zerrbild eines Menschen zu verwandeln begann. Sechzehn Jahre jung war Lehenna damals erst gewesen, und dennoch hatte die Armee sie aufgenommen, um einen, wie das damals vollmundig geheißen hatte: »Schwesternbrand zu entfachen, dessen Rauch noch auf Jahre zu schmecken sein wird.« Dirgin Kresterfell hatte getan, was ein Vater nur vermochte, um seine Tochter vor diesem Wahn zu bewahren. Er hatte sie angeschrien, geschlagen, schließlich sogar im Keller eingesperrt. Doch der Einfluss der Baroness, die sich selbst erst zu einer Art illegitimer Königin gekrönt hatte und sich später sogar in maßloser Verblendungals Göttin bezeichnete, war zu groß gewesen. Vernünftige Menschen verwandelten sich unter ihren Hetzworten in Bestien. Brüder und Schwestern wandten sich gegeneinander und fielen übereinander her. Viele Freunde und Vertraute hatte Dirgin Kresterfell in jenem Jahr verloren, und seine Tochter, das zarte Kind, hatte sich aus dem Keller gewühlt wie eine Ratte oder ein Wurm und war mit dem Heer gen Norden gezogen, Richtung Witercarz, in all das Blut und all das Leid. Und dort endlich wurden die Gebete eines verlassenen und zugrunde gerichteten Vaters dann endlich erhört: Im Kampfgetümmel wurde Lehenna von einem Versorgungsviehwagen der eigenen Armee überrollt und blieb mit zwei zerschmetterten Beinen im Lazarett, bis der ganze Spuk vorüber war. Die Armee zog noch weiter, bis in die Baronate des Nordens, wo der Feldzug sich dann auflöste, weil Meridienn den Dauren und der rechtmäßige König längst aneinander zerschellt waren und niemand mehr wusste, wohin und wozu. Unter der neuen Königin Lae I. schwappten die Baronate in ihre angestammten Grenzen zurück, das Land beruhigte sich, Geschmolzenes verfestigte sich, die Waffen wurden wieder zu Werkzeugen umgeformt, die Toten wurden begraben, die Wunden versorgt. Die Albträume blieben. Noch heute wachte Dirgin Kresterfell nachts manchmal stöhnend auf und sah seine einzige Tochter mit zu blutigem Staub zerriebenen Beinen in das Feuer einer Brandschatzung kriechen. Sie war nun längst verheiratet mit einem anständigen Mann, hatte zwei Kinder zur Welt gebracht und lebte fern ihres Geburtsdorfes in der Hauptstadt des Landes, aber Dirgin Kresterfell kam noch immer viermal im Jahr hierhin zu dieser Kapelle,um ein Dankesgebet zu sprechen und den einzigen
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