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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin
Autoren: Friedrich Ani
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Herbst öfter nach Bayern oder nach Sylt gefahren.
    »Nein, nicht in Deutschland«, sagte Aroppa.
    »In Wien, zwei Jahre, ich habe Deutschland besucht, war auf Kongressen, Tagungen von Architekten, ich wollte hier bleiben, ich bin in Tissano geboren, meine Eltern zogen bald nach meiner Geburt nach Triest, zur Mutter meiner Mama. Nein…«
    »Haben Sie Ihren Vetter in München besucht?«, fragte Martin.
    »Er wollte nicht. Wollte das nicht. Er schrieb, er wird heiraten, dann bringt er seine Frau hierher, und er wird hier leben mit ihr. Er wollte heiraten.«
    »Er wollte Soraya heiraten«, sagte ich.
    »Soraya. Die Vergottung… Aber sie nicht, sie nicht… Er hat Karten geschrieben, er war verzweifelt, deshalb habe ich ihn besucht, ohne Einladung, bin zu ihm gefahren, weil ich mir Sorgen machte. Er schrieb auch, Soraya hat neuen Verehrer, Verehrer? Ein Mann, er ist jung, er überfährt anderen Mann aus Eifersucht, ich habe das nicht geglaubt, was Francesco mir geschrieben hat. Er war verzweifelt. Ich habe ihm helfen wollen. Er war zu lange in München, zu lange an einem Ort, hätte wieder weg müssen, nicht alt sein, weggehen.«
    »Dann fuhren Sie nach München«, sagte ich.
    »Und dort lernten Sie Soraya kennen.«
    »Diese Frau«, sagte er. Er trank aus und goss Grappa in seines und unsere Gläser. Nach einem Zögern leerte er das Glas auf einen Zug.
    Dann schwiegen wir. Die Fensterläden schlugen gegen die Hauswand, der Wind wurde stärker und das Zimmer dunkler. Manchmal bellte unten im Hof einer der Hunde, die Hühner gackerten lauter als gewöhnlich, und die Kakadus schrien in den Volieren.
    »Nein«, sagte Aroppa.
    »Nein.«
    Offensichtlich wollte er nicht über die Frau sprechen. Wir hatten Zeit.
    Ich sagte: »Im letzten Winter haben Sie Ihren Vetter wieder besucht, Signor Aroppa. Warum?« Von jetzt an bis zu dem Moment, als im Park der Villa die Tragödie begann, trank Severino Aroppa keinen Schluck Grappa mehr.
    »Er hatte kein Geld für… francobolli… «
    »Briefmarken«, sagte ich.
    »Briefmarken… Er schrieb noch, er isst nicht mehr… Dann sind keine Karten mehr gekommen.« Er führte die Hand zum Mund.
    »Isst nicht mehr… Ich bin mit dem Zug gefahren, aber ich habe ihn nicht gefunden. Gefunden? Nicht gefunden. Ich bin dann weitergefahren nach Augsburg, in den Norden von Deutschland, ich hatte alte Adressen von Francesco, von früher, ich habe ihn gesucht. Nicht gefunden. Und dann später, im April, bin ich noch einmal gefahren, hatte keine Ruhe. Wieder nichts. Nichts. Das Lokal war schon lange zu…«
    »Der ›Bärenwirt‹«, sagte ich.
    »›Bärenwirt‹«, sagte er.
    »Ich wusste nicht, wo er ist. In München? Woanders? Kein Absender.« Er schickte seinen Blick über die Wände des Zimmers.
    »Warum hat er nichts mehr gegessen?«, fragte ich.
    »Hungerstreik«, sagte er.
    »Er hat Hunger gestreikt. Wegen Soraya. Er wollte, dass sie wieder zu ihm kommt. Das wollte er. Hunger gestreikt. Wegen… Vergottung von Soraya… Sie aber wollte nicht zurück. Wollte? Sie will nicht zurück zu ihm, nach München, in alte Welt.«
    »Soraya lebt bei Ihnen«, sagte ich.
    »Ja«, sagte er.
    »Lebt bei mir und will nicht zurück.«
    »Ihr Vetter wusste, dass sie bei Ihnen lebt«, sagte ich.
    »Natürlich wusste er. Ich schrieb ihm Briefe auf Postamt, nicht viele Briefe, einmal im halben Jahr, er hat nicht aufgehört, an sie zu denken. So lange Zeit, zehn Jahre? So lange Zeit und er geht weg aus München und kommt wieder. Er war überall in Deutschland, auf der Straße, keine Wohnung, nicht alt sein, unterwegs, Baustellen, Gasthäuser, Fabriken, Markte. Markte?«
    »Märkte«, sagte ich.
    »Märkte«, sagte er.
    »Billiger Arbeiter. Nichts gelernt. Nur Wunschmensch. Wunsch, Soraya kommt zurück. Kommt nicht zurück, Soraya. Will nicht. Ist weggegangen, einmal weggegangen, immer wegbleiben.«
    »Und Sie fuhren nach München, um mit ihm zu sprechen«, sagte ich.
    »Damit er seinen Hungerstreik beendet.«
    »Natürlich! Hungerstreik beenden! Was für eine Dummheit! Hungern für die Vergangenheit, das ist doch dumm! Ich war wütend. Ich wollte ihn schlagen. Ins Gesicht! Alter Mann macht Hungerstreik für Geliebte von früher! Ich war sehr wütend. Aber ich habe ihn nicht gefunden.«
    »Auch nicht im April«, sagte ich.
    »Nein, nicht gefunden. Dann fahre ich noch einmal in die anderen Städte und komm nach Tissano zurück und bin krank vor Grippe und Unruhe. Mein Freund Luigi muss einkaufen für mich und
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