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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin
Autoren: Friedrich Ani
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Danach hörten sie schlagartig auf zu bellen. Als wären sie aus einem Alptraum erwacht, taumelten sie zum Hotel zurück, mit eingezogenen Schwänzen, wie von ihrem satanischen Ausbruch selbst erschüttert. Sie krochen unter die Tische direkt an der Hauswand und gaben keinen Laut mehr von sich.
    » Una notte apocalittica « , sagte Aroppa leise. In der schweren schwarzen Stille wagten nicht einmal die Kinder der Gäste zu weinen. Die Grillen waren verstummt und sogar der Hahn.
    Dann fielen die ersten Tropfen, und dann schossen Regenschwälle aus den Wolken, hart wie Hagel. Überall im Dorf begannen die Hunde zu bellen, bis auf die drei, die, als das Unwetter losbrach, unter den Tischen hervorkamen und stumm ins Haus schlichen. Im strömenden Regen verfolgten wir die Blutspuren. Hefele und Fadini leuchteten mit Taschenlampen die Wege ab. Unter den Bäumen verstreut lagen kopflose Kadaver, Federn, wohin man blickte.
    Schwere Donnerschläge erschütterten die Luft, grelle Blitze zerfetzten den Horizont.
    » Una notte apocalittica, «
    Noch einmal bekreuzigte sich Aroppa.
    »Ich muss gehen«, sagte er.
    »Sie wird sterben vor Angst.« Er grüßte niemanden, als er die Wiese verließ und davoneilte.
    »Diese Frau könnte sein Tochter sein«, sagte Hefele.
    »Er hat sie nie angerührt. Er ist für sie da, wir lassen ihn gewähren, jeder im Dorf lässt ihn gewähren. Er war nie verheiratet, dank ihr hat er jemanden, für den er sorgen, dem er sein Leben widmen kann. Er isch wie ein Vater zu ihr, wie ein beschter Freund.«
    »Verlässt sie nie das Haus?«, fragte ich.
    »Manchmal«, sagte Hefele.
    »Nachts. Der Priester sperrt extra für sie die Kirche auf, damit sie alleine beten kann. Sie ist sehr gottesfürchtig. Niemand beläschtigt sie. Jeder im Dorf hat Achtung vor ihr und vor Signor Aroppa.«
    »Wissen Sie, warum er sie vor zehn Jahren hierher gebracht hat?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte Hefele.
    »Er hat sie aus einem Etablischment freigekauft, wissen Sie das nicht?«
    »Nein«, sagte ich.
    Ich hatte nicht aufgepasst und stand barfuß bis zu den Knöcheln in einer Pfütze aus Blut und Regen.

15
    U nd hier«, sagte er, trat einen Schritt zur Seite und zeigte mit der Hand ins Zimmer, »wartet Signora Roos auf Sie.«
    Er hatte darauf bestanden, dass ich allein mit ihm in den ersten Stock hinaufging, Martin sollte unten in der dunklen Halle an einem alten Holztisch auf mich warten. Durch die geöffnete Balkontür fiel Licht, das wie gewaschen wirkte, und der Duft nach Blüten, Erde und gemähtem Gras strömte herein. Nach dem Überfall des Regens, der zwei Stunden gedauert hatte, strotzten jetzt am Vormittag die Bäume und Felder vor noch mehr Grün als vorher. Auf den Straßen glänzten Pfützen und viele Gärten standen unter Wasser, die Bewohner kehrten abgerissene Äste und Blätter zusammen, Hunde wälzten sich in den Lachen und bellten übermütig. Vor dem einzigen Fenster des Zimmers war die Jalousie heruntergelassen.
    »Gehen Sie zu ihr«, sagte Severino Aroppa.
    »Ich koche Ihrem Kollegen Kaffee.« Seine Schlappen machten ein quietschendes Geräusch, als er die Steintreppe hinunterstieg.
    Im Gegenlicht war die Frau kaum zu erkennen, sie saß auf einem Holzstuhl mit hoher Lehne neben einem kleinen runden Tisch, der Tür zugewandt, in einem schwarzen Kleid und einer Wolljacke mit großen Punkten.
    » Buon giorno « , sagte ich.
    »Hallo«, sagte sie, wie aus einer Ferne. Ihre Stimme war leise und, wie ich bald feststellte, melodisch und weich.
    An der Wand stand ein Sofa, über das eine weiße Decke gebreitet war.
    »Setzen Sie sich doch«, sagte Soraya Roos. Ich setzte mich. Sie rückte den Stuhl näher zu mir und ich sah sie an. Und was ich sah, erschütterte mich. Ich vergaß, dass ich sie anstarrte, und als ich es merkte, tat sie, als habe sie es nicht bemerkt.
    Soraya Roos sah genauso aus, wie Karl Funkel prophezeit hatte: Vor mir saß eine gebrochene Frau, verstört, in einem Käfig aus Einsamkeit, aus der Welt gestoßen. Sie hatte ein kleines Buch mit einem abgeschabten Einband in der Hand, ein Bändchen hing heraus und zwischen ihren Fingern sah ich ein Kreuz auf dem Buchdeckel. Außer dem Stuhl, auf dem Soraya saß, dem kleinen Tisch und dem Sofa gab es keine Möbel im Zimmer, keine Bücher, keine Blumen, kein Bild. Neben der Tür hing eine Pinnwand, die ich erst jetzt bemerkte, etwa eineinhalb Meter breit und einen Meter hoch, voll von Ansichtskarten, einige übereinander gesteckt, Motive aus Städten
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