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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin
Autoren: Friedrich Ani
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Soraya…«
    »Luigi Fadini, der Verwalter«, sagte ich.
    »Si. Er geht jeden Tag in mein Haus, wenn ich verreist bin, kocht mit Soraya, spricht mit ihr, guter alter Freund Luigi. Und dann kommen die Carabinieri und sagen, sie wollen Foto für ihre Kollegen in Deutschland, für Sie. Mein Vetter ist tot, ist verhungert. Da habe ich geweint, und Soraya hat auch geweint, wir haben uns schuldig gefühlt. Schuldig, dass Francesco starb an Hunger vor Liebe. Nur dumme Wunschmenschen sterben an Hunger vor Liebe. Dumme wie Franceso. Kann ich seine Leiche nach Tissano bringen?«
    »Selbstverständlich«, sagte ich noch einmal.
    »So bald Sie möchten.«
    » Si « , sagte er.
    »Und Soraya betet für ihn. Sie betet den ganzen Tag.«
    »Kann ich mit ihr sprechen?«, sagte ich.
    »Nein«, sagte er.
    »Haben Sie Soraya damals aus München entführt?«, fragte ich.
    »Entführt?«, sagte er.
    »Sie meinen Kidnapping?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Ich habe sie doch nicht gekidnappt! Ich habe sie mitgenommen! Sie wollte mitkommen, schnell, schnell! Sofort. Da habe ich sie mitgenommen. Doch nicht Kidnapping!«
    »Haben Sie sie aus Liebe mitgenommen?«, fragte ich. Auch jetzt galt sein Blick nur dem offenen Fenster, vor dem es dunkel geworden war, obwohl es erst kurz nach neun Uhr abends war.
    »Vielleicht«, sagte er mit schwerer Stimme.
    »Vielleicht ich bin schuld an Francesco. Ich habe ihn verraten. Soraya wollte weg, schnell weg, wegen Unfall mit Wirt, sie hatte Angst, die Polizei findet was heraus, oder dieser junge Mann geht zur Polizei.«
    »Soraya liebte ihren Vater«, sagte ich.
    »Trinken Sie keinen Grappa mehr?«, fragte Aroppa und sah mich an.
    »Sie auch nicht«, sagte ich.
    »Ich trinke noch einen«, sagte Martin.
    »Das ist gut.« Aroppa schenkte ihm ein.
    » Grazie « , sagte Martin und trank.
    »Soraya liebte ihren Vater«, sagte ich ein zweites Mal. Aroppa antwortete nicht.
    »Warum sind Sie damals nach München gekommen?«, fragte Martin.
    » Un Capriccio « , sagte Aroppa.
    »Es war Sommer, ich war neugierig. Neugierig? Ich dachte, ich besuche Francesco, eine Überraschung. Ich habe ihn enttäuscht. Ich habe gesagt nein zu Soraya, aber sie sagte, sie muss mit mir kommen, ich kann sie erlösen. Erlösen?«
    »Wovon erlösen?«, fragte ich.
    »Wovon, ja«, sagte er.
    »Erlösen. Das hat sie gesagt.«
    »Haben Sie sie erlöst?«
    Seine Beine fingen an zu zittern.
    »Wenn Sie sie sehen… wenn Sie sie… Sie ist nicht… Erlösen. Ich kann sie erlösen, sagte sie. Und ich habe sie mitgenommen, ich konnte ihr nicht widerstehen, ich habe verstanden, was Francesco meinte mit Vergottung, ich habe verstanden… Und bis heute…«
    In diesem Moment begannen die Schreie und das Gebell und ein gotterbärmliches Gegacker.
    Später sagte der Priester, den wir endlich zu Gesicht bekamen, dies sei die blutigste Nacht, die das Dorf je erlebt hätte. Siebzehn Opfer lagen blutüberströmt in der Wiese, nahe dem Teich. Und wir, Martin und ich, Roderich Hefele, Luigi Fadini und Severino Aroppa, lösten uns nur langsam aus unserer Erstarrung und besichtigten den Tatort, der vom Turm bis weit in den Park hinein reichte. Aus einem Impuls heraus, der nie geklärt wurde, hatte Birba, die weiße Hündin, plötzlich zu bellen begonnen, und wie auf ein Zeichen stimmten der undefinierbare Mischling Jo und Mr Dober mit ein, und dann stürzten sie los. Stürzten an den Tischen entlang und die Kieselsteine spritzten unter ihren Beinen. Und bevor der Hahn auch nur eine winzige Krähwarnung ausstoßen konnte, gruben sich Hundezähne in das erste Huhn. Und innerhalb von wenigen Minuten richtete das Trio ein Blutbad an. Die Hühner rannten und flogen in sämtliche Richtungen, doch ihre Verfolger erwischten sie alle. Die Frauen und Kinder, die im Erdgeschoss beim Essen saßen, schrien, und Hefele, der gerade eine Rede über venezianische Landhäuser hielt, griff nach einer Mistgabel und rannte mit Fadini ins Freie. Doch sie waren klug genug, die Hunde nicht noch mehr zu reizen. In der Zwischenzeit war der Hahn in den hintersten Winkel des verlassenen Pferdestalls geflüchtet und krähte aus vollem Hals. Liesl und Erna, die beiden Schweine, schnüffelten in Haufen von Federn, die die Hennen auf der Flucht verloren oder die ihnen die Hunde ausgerissen hatten.
    Martin, Aroppa und ich hatten eilig das Zimmer verlassen, aber es blieb uns nichts als zuzuschauen. Die Hunde bissen den Hühnern die Köpfe ab und spuckten sie in den Kies, ins Gras, in den Teich.
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