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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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höher. Im Kreisgefängnis. Diese Vorstellung kam ihm so entsetzlich vor, daß sie ihm den Atem verschlug.
    »Woran denkst du?« fragte Sejer.
    »An nichts«, sagte Tomme leise. Aber in seinem Kopf hörte er das heftige Ticken. Vielleicht wäre es das beste, die Bombe hochgehen zu lassen. Die Stille danach würde der Erleichterung ähneln, die man verspürt, wenn man sich nach langer Übelkeit endlich erbrechen kann, dachte er.
    »Mir ist schlecht«, sagte er laut.
    »Dann bringe ich dich zur Toilette«, sagte Sejer. »Wenn es sein muß.«
    »Nein«, sagte Tomme.
    »Dir ist nicht schlecht?«
    »Doch. Aber das gibt sich.« Er rutschte vom Tisch zurück, an dem sie saßen. Schob sich mit den Knien ab. Dann beugte er sich vor.
    »Ich habe Ida angefahren«, sagte er.
    »Das weiß ich«, sagte Sejer ernst.
    Tomme saß weiter so gebückt da. »Ihr Rad stand am Straßenrand«, sagte er. »Einfach in der Gegend. Ich hatte es schon aus der Ferne gesehen. Ein verlassenes Rad. Gelb. Ich fand es seltsam, daß es da einfach rumstand. Ich konnte keinen Menschen sehen. Und auch kein Auto«, sagte er leise. »Ich bin auch nicht schnell gefahren, ich fahre nie schnell.«
    Seine Stimme versagte und schlug in ein dünnes Piepen um.
    »Ich wollte die CD wechseln«, gab er zu. »Ich mußte mich vorbeugen und nach unten schauen, das dauerte eine oder zwei Sekunden. Ich legte die CD ein und drehte lauter. Und dann schaute ich wieder nach vorn. Jemand stieg aus dem Straßengraben, mit Blumen oder so. Ich war zu weit an den Straßenrand geraten. Etwas schlug gegen den Wagen und wurde zurückgeschleudert. Ich trat auf die Bremse und schaute in den Spiegel. Und sie lag auf dem Rücken am Straßenrand.«
    Tomme legte eine Pause ein. Er konnte sich jetzt an diese Sekunden erinnern, er hatte das Gefühl, an einem Abgrund zu stehen. Die Angst, die er empfand, kam ihm vor wie tausend in seinem Körper schlagende Flügel. Es fing unten bei seinen Füßen an, wogte die Beine hoch, jagte durch Magen und Herz und flatterte dann vor seinem Gesicht. Danach war er wie betäubt.
    »Ich wollte zurücksetzen«, sagte er. »Aber ich zitterte so sehr. Ich mußte mich erst beruhigen. Und dann sah ich im Spiegel, daß sie sich aufrichtete. Daß sie auf zwei Beinen stand. Sie schwankte ein wenig, aber sie stand da!« rief er. »Und dann kam mir auf der Straße jemand entgegen. Ein Dreirad.«
    Tomme verlor für einen Moment den Faden und horchte, ob das Ticken in seinem Kopf vielleicht verstummt sei. Er war sicher, daß es jetzt leiser klang.
    »Dieser Mann auf dem Dreirad«, sagt Sejer. »Emil Johannes. Er kann nicht sprechen. Das hast du doch gewußt, nicht wahr?«
    »Das war ja gerade das Schlimmste«, sagte Tomme. »Denn einige behaupten, daß er ab und zu spricht, und andere halten ihn für stumm.«
    Er schaute schuldbewußt hoch. »Da ich hier sitze, hat er ja offenbar etwas sagen können.«
    »Ja«, sagte Sejer. »Das hat er. Ist es Willys Idee gewesen, diese große Beule reinzufahren? Hast du dich ihm anvertraut?«
    Tomme nickte. »Er sagte, das würde alles leichter machen, wenn jemand Fragen stellte. Leichter, so zu tun, als sei das die Wahrheit. Falls ihr den Wagen überprüft. Eigentlich hatte ich ja nur einen Sprung im rechten vorderen Scheinwerfer.«
    »Im Kreisverkehr hat dich also niemand abgedrängt?«
    »Nein.«
    »Warum bist du mit ihm nach Dänemark gefahren?«
    »Solange wir zusammen waren, hatte ich ihn irgendwie im Griff. Und ich war ihm einen Gefallen schuldig. Da konnte ich einfach nicht nein sagen.«
    »Ich hätte gern die Wahrheit über diese Überfahrt«, sagte Sejer.
    Tomme horchte auf die Geräusche in seinem Kopf. Das Ticken wurde wieder lauter.
    »Wir haben uns oben an Deck gestritten«, sagte er. »Ich sollte seine Tasche durch den Zoll bringen, und das wollte ich nicht. Er war sauer. Ich ging in die Kabine und ins Bett. Als ich aufwachte, war er verschwunden. Mir ist es egal, wo er ist, ich habe Willy einfach satt!«
    Er ballte die Fäuste, wie um sich gegen ein böses Schicksal zu wehren, und rote Flecken überzogen seine schmalen Wangen. »Ich habe Ida angefahren, aber das war ein Unfall. Sie kam aus dem Graben auf die Straße gerannt. Ich weiß, ich hätte anhalten müssen, aber ich hatte ja gesehen, daß ihr nichts passiert war. Was dieser andere Typ danach mit ihr gemacht hat, dafür kann ich doch nicht verurteilt werden.«
    Sejer tat es Tomme nach. Er schob seinen Stuhl vom Tisch weg. Der so gewonnene Platz erlaubte es ihm,
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