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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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sie verlassen. »Aber eins weiß ich noch«, fügte sie hinzu. »Sie sah wunderschön aus, in dem Nachthemd.«
    Dann war Elsa leer. Sie ließ wieder den Kopf hängen, wie eine Frau, die auf ihr Urteil wartet. Sie schien mit allem fertig zu sein. Und keine Gefühle und keine Verzweiflung mehr zu haben. Aber Sejer wußte, daß das alles zu ihr zurückkehren würde. Vielleicht jede Stunde des Tages, für den Rest ihres Lebens. Vielleicht jede Nacht, als entsetzlicher Albtraum. Aber im Moment war sie leer. Und er sagte nichts darüber, was ihr bevorstand.
    »Hat es gut getan, das alles loszuwerden?« fragte er leise.
    »Ja«, gab sie zu. Es war nur ein Flüstern. Sie ließ sich über den Tisch sinken und stöhnte. Er ließ sie in Ruhe. Er hatte alle Zeit der Welt.
    »Ich weiß, daß ich eine schreckliche Schuld auf mich geladen habe«, sagte sie endlich. »Aber sie war schon tot, als ich dazugekommen bin, und nichts konnte sie wieder lebendig machen. Und Emil, den können Sie doch nicht ins Gefängnis stecken, oder? Ich wollte ihn nur vor einer Katastrophe retten.«
    Da, dachte Sejer, da ist der Albtraum schon unterwegs zu ihr.
    Er machte ein paar letzte Notizen. Sie hatte alles aufrichtig erklärt, und Sejer glaubte ihr jedes Wort. Trotzdem dachte er an Emil und dessen Behauptung, daß die Version der Mutter vielleicht nicht zutraf.
    »Ist es aber trotzdem so, daß Sie ebensowenig begreifen wie ich?« fragte er.
    Sie hob den Kopf und schaute ihn unglücklich an.
    »Ich weiß nicht so recht.«
    »Warum hätte Emil Ida etwas tun sollen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie noch einmal.
    »Haben Sie selbst nach Erklärungen gesucht?«
    Sie fuhr sich mit einer trockenen Hand über die Wange.
    »Ich will es wohl nicht wissen«, sagte sie müde.
    »Aber ich will das«, sagte Sejer. »Er hat einen Grund gehabt.«
    »Er ist doch nicht so, wie er sein sollte«, erwiderte sie, als könne das alles erklären, was sie nicht sofort verstehen konnten.
    »Halten Sie Ihren Sohn für unberechenbar?« fragte er.
    »Im Grunde nein.«
    »Oder haben Sie den Eindruck, ihn zu kennen, finden Sie ihn überaus vorhersagbar und können Sie ihn trotz allem verstehen?«
    »Ja.«
    »Hat er Sie schon häufiger mit unverständlichem Verhalten oder unbegreiflichen Reaktionen überrascht?«
    »Nie«, flüsterte sie. »Abgesehen von der Sache mit dem kleinen Hund.«
    »Es gab also nur diese eine Episode?«
    »Ja.«
    »Aber warum sollten wir ihn dann für unberechenbar halten?«
    Sie zuckte mit den Schultern. Sie schien wissen zu wollen, was ihr bevorstand. Er musterte sie mit ernster Miene.
    »Sie werden vor Gericht gestellt werden. Ich gehe davon aus, daß Ihnen das klar ist.«
    »Ja«, sagte sie mit gesenktem Blick.
    »Ihre Verteidigerin wird Ihnen in jeglicher Weise behilflich sein. Sie wird erklären, was Sie mir eben erklärt haben, nämlich, daß Sie Ihrem Sohn helfen wollten, ein Verbrechen zu vertuschen. Das Gericht wird sich ein Urteil von Ihrer Schuld machen und danach das Strafmaß festsetzen. Ist Ihnen das auch klar?«
    »Ja«, sagte sie.
    Er nickte.
    »Würden Sie sich besser fühlen, wenn Sie vollständige Klarheit darüber erlangen könnten, was sich zwischen Emil und Ida abgespielt hat?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte sie unsicher. »Vielleicht hat sie sich aus irgendeinem Grund über ihn lustig gemacht.«
    Sejer schaute sie an und griff diesen Faden sofort auf.
    »Kann er das nicht vertragen?« fragte er.
    »Emil ist sehr stolz«, sagte sie.
    Sie wurde in ihre Zelle zurückgeführt. Sejer trat ans Fenster. Dort blieb er stehen und schüttelte den Kopf. Er hätte sich erleichtert fühlen müssen, oder auf irgendeine Art zufrieden. Er hätte das Gefühl haben müssen, daß das Bild sich jetzt zusammenfügte, daß er sein Ziel erreicht, seine Arbeit getan hatte. Aber er war nicht zufrieden. Etwas machte ihm zu schaffen. Er verdrängte seine Unruhe. Zwang sich dazu, das Zimmer zu verlassen. Schloß ungeheuer vorsichtig die Tür. Es gab noch immer viel zu tun. Er mußte einen ausführlichen Bericht schreiben. Und Willy Oterhals wurde weiterhin vermißt.
     
    Die Nachricht von Elsas Geständnis war bald in der ganzen Stadt bekannt. Die Menschen wurden wieder gelassener. Vom Sohn erwarteten sie kein Geständnis, aber das war ja auch nicht nötig. Die Mutter hatte ihre Aussage gemacht. Sie betrachteten den Fall als geklärt. Sejer sah das anders.
    Als er am nächsten Morgen durch die Glastüren der Wache ging, kam ihm eine neue Idee. Auf einem
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