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Die Liebe in Grenzen

Die Liebe in Grenzen

Titel: Die Liebe in Grenzen
Autoren: Veronika Peters
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1 – Das erste Zeichen
    M it der vom Regen durchweichten Brötchentüte in der Hand stehe ich bei der Rückkehr vom Bäcker im Hausflur, schaue auf den Briefkasten und denke, dass es keinen Sinn hat, ihn zu öffnen, weil montags nie etwas drin ist.
    Als ob ich einen Montag bräuchte, um keine Post zu bekommen. Zurzeit ist der Kasten fast immer leer: Für neue Bewerbungen, auf die hin zumindest mit mehr oder weniger freundlichen Absagen zu rechnen wäre, hat mir bislang noch die Kraft gefehlt. Und der einzige Mensch, der altmodisch genug ist, mir Briefe zu schreiben, mein Vater, hat sich erst gestern bereit erklärt, mir trotz meiner inzwischen vierundzwanzig Jahre und einer knapp am Abschluss vorbeigerauschten Berufsausbildung weiterhin das zu finanzieren, was er » eine Orientierungsphase « nennt, telefonisch, auf der Mailbox. Vielleicht hätte ich ihm, als er mir noch geschrieben hat, ab und zu antworten sollen, statt vormittags, wenn er in der Schule unterrichtet, ein paar geschäftsmäßige Sätze aufs Band zu sprechen und das Telefon klingeln zu lassen, wenn er abends zurückrief. Tochterliebe geht anders. Aber ich bin gegenwärtig die Letzte, die Aussagen darüber wagen sollte, wie Liebe geht, egal in welcher Form. Nicht, dass ich früher Wesentliches dazu hätte beitragen können, aber nach dem, was in diesem Jahr passiert ist, sind Zweifel an meiner Kompetenz in Beziehungsfragen mehr als angebracht.
    Auch nach drei Monaten Rückzug will ich mit niemandem reden. Mein einsamer Vater hat das nicht verdient, aber sich darüber zu beschweren, ist nicht seine Art. Wahrscheinlich denkt er, seine Briefe sind mir lästig, und hat deswegen das Schreiben eingestellt, nicht weil er gekränkt ist. Gestern auf dem Band klang er jedenfalls wie immer, und auf seine pünktlichen Überweisungen kann ich zählen. Das verschafft mir Zeit.
    Auf einmal merke ich, dass ich es tatsächlich schade finde, keine gefütterten Umschläge mehr zu bekommen, mit drei oder vier zusammengefalteten Bogen Büttenpapier darin, auf denen Papa in seiner krakeligen Akademikerhandschrift von besonderen Leseerlebnissen berichtet, von wiederentdeckten Jazzplatten, empfehlenswerten Filmen, Ausstellungen, Zeitungsartikeln, von allem Möglichen, das er mir ans Herz legen will, nur nicht davon, dass er abends allein in Berlin sitzt und darauf wartet, dass ich ihm schreibe oder ihn besuche, um ihm zu erklären, was genau in den vergangenen Monaten passiert ist und was ich jetzt zu tun gedenke, nach meinem Weggang aus Lennau, aus der oberhessischen Provinz. Vielleicht bin ich ihm doch ähnlicher, als ich es wahrhaben will, und vielleicht beschwert sich meine einzige und beste Freundin nicht ganz grundlos, wir seien beide » Kommunikationskrüppel – einer so unfähig, aus sich herauszugehen, wie die andere « .
    Aber auch Manu wird mir keinen Brief aus ihrem » Arbeitslager « schicken. Sie benutzt Papier nur im Notfall, ist rund um die Uhr mit Stimmübungen, Gesangsproben und der Abwehr liebeskranker Kollegen beschäftigt, und wenn sie einmal Zeit hat, an mich zu denken, verbringt sie die garantiert damit, sich über meine ausgebliebenen Antworten auf zwei Anrufe und fünf E-Mails allein in einer Woche aufzuregen. Die letzte Nachricht an mich endete mit der Schlussbemerkung: » Katia, du kannst mich mal! «
    Wegen Manu mache ich mir aber nicht ernsthaft Sorgen, sie kennt mich lange genug und kriegt sich immer wieder ein, egal wie wütend sie auf mich ist.
    Trotzdem: Es könnte langsam Zeit werden, dass ich aus der Versenkung auftauche und ins wirkliche Leben zurückkehre, bevor auch noch die elektronischen Postfächer leer bleiben.
    Die nassen Hosenbeine kleben an meinen Waden, ich sollte trockene Kleider anziehen, Frühstück machen, nicht sinn- und planlos in einem zugigen Hamburger Treppenhaus herumstehen und einen Briefkasten anstarren, der nicht einmal mein eigener ist. Mein Name steht zwar auch darauf, aber mit Bleistift, schnell zu entfernen, wenn es so weit ist.
    Weil man aber nie wissen kann, stecke ich den Briefkastenschlüssel ins Schloss wie all die Tage zuvor. Manu würde das jetzt wieder als Indiz werten für einen unterdrückten Wunsch meinerseits, aus der selbst gewählten Isolation gerissen zu werden, und wie jedes Mal würde ich ihr daraufhin verbieten, mir mit ihrer Küchenpsychologie auf die Nerven zu gehen.
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