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Die Liebe in Grenzen

Die Liebe in Grenzen

Titel: Die Liebe in Grenzen
Autoren: Veronika Peters
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konnte ich gut verzichten. Dass ich Manu mehr fehlte als sie mir, lag auf der Hand. Wahrscheinlich war sie genau deswegen gekränkt, vielleicht war sie auch der Ansicht, dass ich sie schlicht ein weiteres Mal versetzte.
    Zwei Jahre zuvor war es mir nämlich gelungen, meinen Ausbildungsplatz an der Hamburger Käthe-Kollwitz-Fachschule für Sozialpädagogik zu verlieren, nachdem Manu nur wenige Wochen vorher extra wegen mir auf einen Studienplatz für Sologesang am Wiener Konservatorium verzichtet und der hansestädtischen Musikhochschule zugesagt hatte, die sie ebenfalls aufnehmen wollte.
    Â» Ich bin lieber mit dir in Hamburg als ohne dich in Wien « , hatte sie gesagt, und ich war darüber gerührt gewesen. Leider hatte mich das nicht davon abgehalten, auf der Fachschule einen Joint zu rauchen und mich dabei von einem Dozenten erwischen zu lassen. Während Manu also gerade dabei war, den Umzug nach Hamburg zu organisieren, flog ich von der Fachschule. Der Fürsprache meines Vaters hatte ich zu verdanken, dass sich im oberhessischen Alsfeld eine Fachschule fand, die mich nahtlos in den laufenden Erzieher-Lehrgang aufnahm, wo ich einen nicht glanzvollen, aber gültigen Abschluss des theoretischen Ausbildungsabschnitts schaffte.
    Die Unterkunft in Lennau, von wo aus ich die Fachschule bequem mit dem Bus oder mit dem Fahrrad erreichen konnte, war mir von Direktor Christian Scherer vermittelt worden, dessen frisch geschiedene Schwester Angelika eine Bewohnerin für die Einliegerwohnung ihres Einfamilienhauses suchte und sich nicht an meiner damals gerade fliederfarbenen Rasta-Frisur störte.
    Das friedliche Leben in der Provinz hatte mir also gutgetan, das wollte ich jetzt nicht gleich wieder aufgeben. Und als ich dann zufällig die Stellenanzeige im Oberhessischen Landboten entdeckte, dachte ich: Warum nicht dort anrufen?
    Angelika, meine Vermieterin, für gewöhnlich eine aufgeschlossene und, mit Ausnahme von ihrem Ex, allen gegenüber freundlich gesinnte Person, hatte ernsthaft besorgt meine Absicht, mich in der Mühle zu bewerben, mit den Worten kommentiert: » Nichts gegen Menschen, die seelische Probleme haben, aber da oben auf dem Hügel möchte ich nicht arbeiten. Als Frau schon gar nicht. «
    Von Übergriffen auf das Reinigungspersonal werde im Dorf berichtet, von einem Mädchen, das sich im Wald aufgehängt hatte und zum Glück im letzten Moment von einem Forstarbeiter gerettet worden war, von Ladendiebstählen und blutigen Prügeleien mit der örtlichen Jugend. Mir klang das alles zu sehr nach Vorurteilen und Tratsch. Carmen hatte am Telefon locker geklungen, da lohnte es sich, die Sache einmal näher zu betrachten. Neben den zweifelhaften Dorfgeschichten wusste ich nur, dass sie dort psychisch angeschlagene junge Menschen betreuten.
    Vor Monaten war ich zufällig bei einem meiner Spaziergänge auf das Heimgelände geraten, hatte mich am Anblick friedlich grasender Ponys erfreut und mich von einem kräftigen jungen Mann in grüner Latzhose, den ich für den Gärtner hielt, höflich, aber bestimmt auf den öffentlichen Waldweg zurückschicken lassen. Noch lange hatte ich darüber nachgedacht, was für Menschen dort leben. Ich hoffte, dass es dort anders zuging, nicht so, wie es mir von meinem ersten und einzigen Besuch in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie noch in Erinnerung war. Tamara, die in der Schule im Deutsch-Leistungskurs neben mir gesessen hatte, war dort eingeliefert worden, als ihr Gewicht die Vierzig-Kilo-Marke zu unterschreiten drohte. Wir waren nicht sonderlich befreundet gewesen, aber ich fühlte mich verpflichtet, sie zu besuchen. Etwas unsicher über das, was mich wohl erwarten mochte, klingelte ich an der Stationstür. Es dauerte einige Minuten, bis eine pummelige Krankenschwester erschien, die einen Schlüssel an ihrem Gürtel hängen hatte wie Schwester Ratched in Einer flog über das Kuckucksnest. Als sie direkt hinter uns wieder zusperrte, konnte ich nur mühsam einen Fluchtreflex unterdrücken. Die Schwester schien Gedanken lesen zu können, denn sie sagte: » Sobald du wieder gehen möchtest, schließe ich sofort für dich auf. « Es war mir peinlich, wie erleichtert ich über diesen eher augenzwinkernd dahingeworfenen Satz war.
    Tamara fand ich im Aufenthaltsraum, in einer hinteren Ecke. Sie stand neben einem sehr jung aussehenden Mädchen, das noch
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