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Die Liebe in Grenzen

Die Liebe in Grenzen

Titel: Die Liebe in Grenzen
Autoren: Veronika Peters
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gelbe Kümmelschnaps hilft, das Vergessen zu beschleunigen. Mein alter Traum von der Reise als Lebensform würde wahr werden, jetzt oder nie, stellte ich mir vor, ins immerwährende Verschwinden, ohne Erklärung, ohne Abschied, ohne Spur. Wenn schon Palau nicht ging, dann das. Wie lange bräuchte man für rund hundert Kilometer Fußmarsch bis zum Hafen, überlegte ich, vier, fünf Tage? An Bahnhöfen schlafen, mit niemandem sprechen, eine stumme Landstreicherin, auf dem Weg ins finnische Nirgendwo.
    Lächerlich.
    Ein trauriger alter Traum mit neunundzwanzig, wenn das kein Indiz war.
    Mädchen, die mit mir zur Schule gegangen waren, verfügten inzwischen über akademische Abschlüsse, ein bis zwei Kinder, sie bewohnten Doppelhaushälften oder Altbauwohnungen mit Stuck, waren längst keine Mädchen mehr, hatten Träume verwirklicht und einige bereits aufgegeben, aber statt ihnen nachzutrauern, buchten sie tröstliche Flüge auf die Malediven, vom Urlaubsgeld, das hatten sie sich verdient, sie malochten und sparten und gingen planvoll mit ihren Finanzen um, wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause. Ihre Kinder waren süß, ihre Männer scharf: auf sie und nicht aufs Kindermädchen.
    Man kann sagen, dass ich an diesem Tag in keiner optimistischen Grundstimmung war. Wie es aussah, würde ich an meinem dreißigsten Geburtstag arbeitslos, alleinstehend und auf Wohnungssuche sein und komplett selbst daran schuld.
    Eine, die in der Abiturzeitung als » Katia, unser Kauz« bezeichnet worden war und in den folgenden zehn Jahren nichts dazu beigetragen hatte, diesen blödsinnigen Titel loszuwerden, im Gegenteil. Man würde beim silbernen Klassentreffen auf mein Foto zeigen, fragen: » Was ist aus der eigentlich geworden?« – » Ach, die Katia«, würde einer über den Rand seines Proseccoglases ätzen, » sie wurde zuletzt gesehen mit einem Rucksack am Skandinavienkai in Lübeck. Gab es damals nicht so eine Affäre?« Und alle würden schauen, als hätten sie es immer schon geahnt, dass diese Katia es nicht bringen würde.
    Nach der Beerdigung habe ich Elisabeth von diesem ersten Tag an der Küste erzählt und dass ich eigentlich schon wieder weg war. Wir überlegten, wie Ruth meinen Wunsch nach einsam-obdachloser Wanderung ins Verschwinden kommentiert hätte. Ich vermutete, sie hätte nur » Papperlapapp!« geblafft, begleitet von der gleichen energischen Geste, mit der sie die großen Fenster im Frühstücksraum putzte, einmal hin, einmal her, wisch und weg, der Radius erstaunlich groß für eine so kleine Frau. » Alte Träume und Nirgendwo«, hätte sie geknurrt, » glaubste ja selber nicht, den Quatsch!« Sie hätte es mir noch nachträglich aus dem Kopf gegrantelt, ihre spitzen Fingerknochen auf meinen Schädel knallen lassen, » Herrgott, werd mal erwachsen, Hasenhirn«, und wir hätten uns gemeinsam über meine Albernheit amüsiert. » Ja«, sagte Elisabeth, » so wäre es gewesen.«
    Eigentlich bin ich schon wieder weg gewesen, schätzungsweise einen Kilometer.
    Ein schwarz-weißer Vogel mit leuchtend rotem Schnabel flog auf und gab einen schrillen Triller von sich, der mich erschreckte. Meine Jacke zeigte sich dem Wind nicht gewachsen, ließ mir die Kälte auf die Haut und darunter kriechen. Ich überlegte, wen ich zuerst anrufen könnte, stellte fest, dass mein Akku leer war und nicht mal mehr ein schwaches Aufleuchten zustande brachte. Ich nahm mir vor, mit dem Bus bis Kiel zu fahren, von da aus den Zug nach Berlin zu nehmen, zu meinem Vater, bevor ich mir auf der Wanderschaft noch eine Lungenentzündung holte, davon hatte auch niemand was.
    Wie es dazu kam, dass ich an diesem Tag schließlich doch das Palau betrat, kann ich nicht genau erklären. Es wurde zunehmend kälter, der Regen hatte wieder eingesetzt, vielleicht war es die Aussicht auf einen Kaffee, für den ich meine Identität nicht unbedingt preisgeben müsste, oder der Gedanke an die Erklärung, die ich meinem Vater schuldig wäre, wenn ich am späten Abend unangemeldet mit der Bitte um einen Schlafplatz bei ihm klingelte. Möglicherweise hatte ich auch bereits eine Ahnung von der Eigenartigkeit dieses Ortes und wollte schauen, was innerhalb der Mauern daraus wurde.

Veronika Peters
    geboren 1966 in Gießen, verbrachte ihre Kindheit in Deutschland und Afrika. Im Alter
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