Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe in Grenzen

Die Liebe in Grenzen

Titel: Die Liebe in Grenzen
Autoren: Veronika Peters
Vom Netzwerk:
Es ist sowieso Quatsch: Ich bin im Grunde gern allein, bin es immer gewesen. Schon als Kind habe ich mich lieber in meinem Zimmer oder hinter der Ligusterhecke im Garten versteckt, mich in ein Buch gestürzt, den Rest der Welt um mich herum ausgelöscht, als mit anderen herumzutoben. Die Erwachsenen haben sich Sorgen gemacht über das Mädchen, das Nils Holgersson, Robinson Crusoe oder Michel aus Lönneberga seine Freunde nannte und nicht die Jungen und Mädchen aus der Nachbarschaft. Ich aber war völlig zufrieden in meiner Geschichtenwelt, dichtete mir das Gelesene weiter oder noch besser gleich ganz um, lag im Gras, das ich mal in wildes Buschland, mal in den Ozean verwandelte, schaute den sich im Rhythmus meiner Geschichten verformenden Wolken zu, ließ Nils seine Rückkehr verweigern, damit er noch einmal mit den Gänsen davonfliegen konnte, und sorgte dafür, dass das Schiff ohne Robinson an Bord wieder von der Insel ablegte, weil ich selbst demnächst dort anlanden würde.
    Die Briefkastenklappe klemmt, mit einem Ruck springt sie schließlich doch auf. Was ich vorfinde, ist ein Prospekt vom örtlichen Supermarkt: » Angebot der Woche « : Rollbraten, Fleischwurst, Premium Pils, der Kasten für 8,99 Euro. Ich werde ihn der Sozialpädagogin aus dem ersten Stock in die Klappe stopfen, die jedes Mal Ärger macht, wenn ihr selbst gebastelter Aufkleber ignoriert wird: » KEINE WERBUNG ! Außer IKEA ! « , in Pink, natürlich, direkt unter dem » Free Tibet « - und dem » Amnesty « -Sticker, aber sich strikt weigert, Päckchen für abwesende Hausbewohner entgegenzunehmen. Die stapeln sich dann bei mir, wenn ich denn die Wohnung, die ich dank Manus stipendienbedingter Abwesenheit momentan nutze, als » bei mir « bezeichnen darf.
    Als ich das bunte Faltblatt herausnehme, fällt mir eine Ansichtskarte entgegen. Ich hätte gewettet, dass niemand, den ich kenne, noch Postkarten verschickt. Ich drehe die Karte um, ohne genauer das Foto zu betrachten, und mir stockt der Atem: Links oben in der Ecke steht gedruckt » Jardin du Luxembourg « , mit Kugelschreiber unterstrichen, eine leicht schlingernde Linie, die am Ende dünn ausläuft. Ansonsten nur mein Name und die Adresse, nicht ein weiteres Wort, keiner der gewöhnlichen Postkartensätze wie » Am Nachmittag werde ich den Eiffelturm besteigen «, oder » Ich denke an dich « , weder eine von den üblichen Grußformeln noch eine lustige Urlaubskritzelei mit Sonnenuntergang oder Grinsegesicht, nur ein leeres weißes Textfeld. Ich weiß so genau, wer mir diese Leere schickt.
    Auf der Bildseite ist eine Parkszene, früh am Morgen aufgenommen: Aufsteigender Dunst, kurz vorher muss es geregnet haben. Unter hohen Kastanien, deren Laub sich schon herbstlich färbt, stehen an die fünfzig Gartenstühle, scheinbar wahllos abgestellt oder wie auf halbem Weg vergessen. Die Sitzflächen spiegeln eine schwache Morgensonne, im Vordergrund eine alte Bank, quer zum Betrachter an einen der Bäume gelehnt. In dem stillen Durcheinander ringsum sieht sie einladend aus. Keine Menschen, keine Tiere, keine Touristenattraktionen, nur abtropfendes Parkmobiliar und alte Bäume.
    Ich drehe die Karte erneut um: » Jardin du Luxembourg «. Der, der sie mir hat zukommen lassen, weiß, dass dieser Hinweis genügt, um eine Schublade zu öffnen, die sonst verschlossen ist. Ich kann es hören, sehen, sogar riechen.
    Da ist die Szene, wie mein Vater am letzten Tag, an dem wir noch das waren, was er wider besseres Wissen » eine fröhliche Kleinfamilie « nannte, das Gedicht am Frühstückstisch vortrug, die Hand am Marmeladenglas:
    Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
    sich eine kleine Weile der Bestand
    von bunten Pferden …
    Und das rote klebrige Glas zog dabei vor meiner Nase Kreise, während er von dem Dichter erzählte, der einen Bildhauer in Paris besuchte und endlos durch die Straßen lief, um Worte zu finden. Ich ignorierte die mütterliche Ermahnung, dass wir beide, mein Vater und ich, zu spät zur Schule kämen, und stellte mir den Dichter vor, wie er mit Block und Stift durch eine Stadt schlenderte, von der ich damals dachte, sie sei von meinem Vater eigens für mich erfunden worden, mit all den Boulevards und Cafés, den alten Bücherständen am Fluss und nicht zuletzt dem Karussell im Park, vor dem der Poet stehen blieb und sein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher