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Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
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Dunkle   …
    »Birçî û xasî li rê û dirban   …«
    Sie summt mit. Lächelt, als die Sonne schräg von oben durch die Windschutzscheibe auf ihr Gesicht scheint, unterbrochen von den Bäumen am Straßenrand, die ihre Schatten dazwischenschlagen.
    Sie hat gute Laune.
    »Li ser çiyanin   …«
    Die kurdische Band heißt Koma Dengê Azadî   – Stimme der Freiheit. Darum singt sie mit. Weil sie in einem Auto sitzt – ihr erstes eigenes Auto – und sich frei fühlt.
    »Berf fedi dike   …«
    In dem Lied geht es um Scham. Sie sollte sich schämen. Das Haar wird verwirbelt durch den Wind, den sie durch das Seitenfenster hereinlässt.
    »Ji dûmana zer   …«
    Im Rückspiegel sieht sie das Auto heranrasen. Es ist neuer und stärker und schicker als ihr Wagen. Sobald die Gegenfahrbahn frei ist, setzt es zum Überholen an. Erst als der Fahrer auf derselben Höhe plötzlich die Fahrt verlangsamt, wird ihr das Ganze unheimlich. Ihr Blick geht nach links. Das Lächeln schwindet aus ihrem Gesicht. Der Fuß, den sie leicht auf das Bremspedal setzt, zittert. Der Motor heult auf, als sie einen Gang runterschaltet.
    Eine leichte Rechtskurve bringt sie in eine ungünstige Position, auf einmal sticht ihr die Sonne direkt in die Augen.
    Die Tochter auf dem Beifahrersitz hält instinktiv die Hände vor den Leib, streckt sie dann Richtung Handschuhfach und macht die Beine steif.
    Ein Lastwagen kommt ihnen entgegen, blinkt warnend auf und hupt. Das andere Auto wird schneller, überholt, als wäre alles nur ein Versehen gewesen. Gerade rechtzeitig schert es ein. Das Gegenlicht blendet, erst knapp vor den plötzlich aufblinkenden Bremslichtern tritt sie auf die Bremse. Jeder andere würde jetzt anhalten. Einfach stehen bleiben, rechts ranfahren, aussteigen und durchatmen.
    Aber das geht nicht. Wenn sie anhält, ist sie tot. Dafür schlägt sie sich ganz gut. Sie wird ihre neue Freiheit verteidigen.
    Die Fahrbahn vor ihnen ist leer. Weiter hinten ist ein Dorf zu sehen. Nicht weit entfernt. Die Baumschatten sind schwarze Blitze.
    »Weşîn wek pelan   …«
    Ihr Summen wird krampfhaft, die Töne beginnen zu zittern. Die Spitzen ihrer Fingerknöchel färben sich hellgelb. Trotz des Windes läuft ihr der Schweiß über das Gesicht. Aber sie lächelt. Die Tochter soll ihre Angst nicht spüren.
    »Çivîk û zarok bûn   …«
    Das Auto fährt auf die linke Spur, bremst ab, man sieht einen Männerarm, der aus dem Beifahrerfenster winkt, Zeichen macht, sie solle anhalten. Doch sie gibt Gas. Eine lang gestreckte Rechtskurve, ein Backsteinhaus in einem Waldstück verborgen, danach ein Feldweg.
    Der Wagen drängt auf sie zu, die beiden Seitenspiegel berühren sich kurz, das Geräusch kreischt im Ohr. Der Arm zieht sich zurück. Dann schieben sich beide Karosserien aneinander, Metall reibt an Metall, Funken fliegen und sie verliert die Kontrolle.
    Es dauert lang. Als wäre die Zeit verklebt. Links und rechts und links und rechts, bis sich alles dreht. Die Räder heben ab. Die Sonne knipst sich aus. Ein Schatten macht alles dunkel.
    Der Straßenrand, der Baum, der Stamm, die Borke, das Glas   … Blut.
    »Mirin fedî dike
    Berf fedi dike   …«
    Das Summen ist vorbei.

1.
    Ob es wohl einen Menschen gab, dessen Ohren Idealmaß hatten?
    Wencke Tydmers war es jedenfalls nicht. Sie drückte zum dritten Mal die winzigen Stöpsel in den Gehörgang, fummelte das dünne Kopfgestell durch ihre kurzen, roten Haare, weil es schon wieder in den Nacken gerutscht war. Sie wollte die Heimfahrt nutzen, um die Aufzeichnung des heutigen Gesprächs noch einmal durchzugehen. Zwanzig Minuten würde sie mit der Stadtbahn brauchen.
    Ihr neuer Heimweg. Noch hatte sie sich nicht daran gewöhnt, an die Kurven und das Knacken der Schweißstellen im Gleis, an die Gesichter ohne Meinung und die Frauenstimme, die zehn Stationen durchzusagen hatte, bevor Wencke ankam.
    Müde ließ sie sich auf den Plastiksitz fallen. Die Beine waren schwer, als hätte sie einen Gewaltmarsch hinter sich. Dabei hatte sie heute Nachmittag lediglich einen jungen Mann getroffen und mit ihm geredet. Zwei Stunden lang. Nur sie und er und eine wortkarge Anwältin. Klang nach einem lauen Job. Und doch fühlte sie sich wie gerädert. Es war schon spät, gleich wurde es dunkel.
    Überstunden waren hoffentlich eine Ausnahme. Sie hatte den Job unter anderem deswegen angenommen, weil man ihr geregelte Arbeitszeiten versprochen hatte.
     
    PLAY
    »In meinem Geburtsjahr ist Deutschland
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