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Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
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Fußballweltmeister geworden. Meine große Schwester hat mir das Fahrradfahren beigebracht, als ich sieben war, nur weil Jan Ullrich für Schwarz-Rot-Gold die Tour de France gewonnen hat. Ach ja, und als sie Moah geheiratet hat, hat Schumacher das erste Mal abgesahnt, da war ich erst vier, aber ich kann mich an das Fest erinnern, weil sie so wunderschön ausgesehen hat in ihrem Kleid. Ich war froh, dass sie danach mit ihrem Mann noch weiter bei uns in Wunstorf gewohnt hat, denn sie hätte mir echt gefehlt. Meine Mutter ist ja gestorben, als ich noch ein Baby war, also hat Shirin sich um mich gekümmert. Im Winter waren wir mal zusammen im Harz Schlitten fahren. Dann hat sie mir geholfen, als wir in der Schule den ›Erlkönig‹ auswendig lernen mussten. Und wenn mir das Fernsehprogramm zu gruselig war, konnte ich mich hinter ihrem Rücken verstecken. Aktenzeichen XY zum Beispiel haben wir immer geguckt.«
    Eine kurze, kaum merkliche Pause, die nur deswegen ins Gewicht fiel, weil die Silben zuvor wie ein langer Güterzug vorbeigerattert waren.
    »Und in dem Jahr, als Deutschland Handballweltmeister wurde   … Komisch, nicht? Immer haben die wichtigen Jahre in meinem Leben was mit Sport zu tun   … also, dass unser Land jetzt erfolgreich war, meine ich   … also mit
unser Land
meine ich jetzt Deutschland, nicht meine Heimat, die Türkei   … Obwohl, da war ich erst ein einziges Mal. Bei der Hochzeit meiner Schwester   …«
    Ein langsames Atmen, fast, als hätte er jetzt endgültig den Faden verloren. Aber dann:
    »Also, in dem Jahr, als Deutschland Handballweltmeister wurde, habe ich versucht, Shirin zu töten.«
    STOP
     
    Mist, sie war ja schon da. Die Kabel der Ohrstöpsel verhedderten sich in der Eile am Knopf ihrer Jeansjacke.
    Die Straßen in diesem Stadtteil sahen sich so ähnlich, Dreißigerjahre-Backsteinhäuser mit mindestens vier Stockwerken, durch die Fenster erkannte man Ikeas praktische Lösungen für Wohnen auf engstem Raum. Da konnte man den Ausstieg schon mal verpassen.
    Die sich schließenden Türen stoppten mit einem Klacken und keilten ihren Turnschuh ein, weiter vorne hörte sie den Straßenbahnführer motzen. Sie versuchte einen netten Blick, vielleicht sah man sich jetzt ja öfter, dann war sie draußen.
    Die giftgrüne Bahn fuhr ohne sie weiter.
    Wencke Tydmers schulterte ihren Rucksack. Sie musste nur ein paar Schritte die kleine, leicht ansteigende Straße hinauf, auf der keine Gehwegplatte ohne Kaugummi war. Sprayer hatten die Hauswand gegenüber mit einem unleserlichen Schriftzug versehen.
    Sie hätte auch eine Wohnung im Schickimickiviertel haben können, Herrenhausen oder List, das Gehalt hätte gereicht. Hier war es aber netter, ein bisschen wie in der alten Heimat, bis vor drei Jahren hatte Wencke in Ostfriesland gelebt. Das Arbeiterhäuschen im Hannoveraner Stadtteil Limmer, in dem sie nun eine Dachgeschosswohnung für sich und Emil gefunden hatte, hatte fast etwas Dörfliches und lag zwischen einem Schleusenkanal und dem alten Stadtteilfriedhof, das passte auch irgendwie.
    Am Kiosk, der offenbar rund um die Uhr geöffnet hatte, standen drei Jungs. Türken, vermutete Wencke, und dachte an die Tonaufnahme, die sie eben gehört hatte. Vor drei Stundenwar dieses Gespräch aufgezeichnet worden und sie hatte es seitdem mehrmals gehört. Verstanden hatte sie es deswegen aber noch lange nicht. Manche Dinge überstiegen einfach ihr Fassungsvermögen. Wie kann man seine eigene Schwester töten wollen? Eben noch zusammen Schlitten fahren im Harz und Aktenzeichen XY auf dem Sofa, und dann drängt man sie mit dem Auto von der Fahrbahn ab, bei 100   km/h. Noch nicht volljährig, keinen Führerschein, die mittlere Reife mit Ach und Krach in der Tasche, und dann plant man den Mord an dem Menschen, der einem das Wichtigste im Leben ist?
    Armanc Mêrdîn war vor drei Monaten aus dem Jugendstrafvollzug entlassen worden. Ein hübscher Kerl, schmierte sich kaum Gel in die Haare, trug Hosen ohne Schlabberschritt und sah so ganz anders aus als die drei, an denen sie eben vorbeiging. Nein, Armanc Mêrdîn war anders. Wenn er erzählte, lächelte er dabei angenehm schüchtern. Seine Haut hatte sie während des gesamten Interviews an etwas Süßes, Samtiges erinnert, Sahnekaramell vielleicht. Und doch war er beinahe zum Mörder geworden: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Fahren ohne Fahrerlaubnis, schwere Körperverletzung, das waren alles andere als Kavaliersdelikte. Dank seiner
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