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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Autoren: Ursula Naumann
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Prolog
      
    18. August 1789
    In Ashleys Amphitheater, Westminster Bridge
    (im Anschluß an eine Seiltanzvorführung von Signor Spinacuta)
    EIN GANZ NEUES GLANZVOLLES SCHAUSPIEL
    DIE FRANZÖSISCHE REVOLUTION
    Von Sonntag, dem 12. Juli, bis einschließlich Mittwoch,
    dem 15. Juli, genannt
    PARIS IM AUFRUHR
    eine der größten und ungewöhnlichsten Darbietungen,
    die je gezeigt wurden, gründend auf
    WAHREN BEGEBENHEITEN
    LOGE 3 s., PARKETT 2 s. RANG MITTE 1 s., RANG SEITE 6 d.
    Einlaß um halb sechs, Beginn pünktlich am halb sieben.
 

 
    Daß die Französische Revolution ein weltveränderndes, die Herzen umwälzendes Ereignis war, haben auch die meisten Menschen im Ausland sofort begriffen. Wer sich vorher nicht für Politik interessiert hatte, jetzt tat er es. Jeder Tag brachte neue Entwicklungen, eine Flut von Beschlüssen und Verordnungen, tödliche Konflikte, unerwartete Wendungen, unerhörte Begebenheiten, große Emotionen. Noch nach Jahrzehnten schrieb einer für alle: »Man glaubt es selbst kaum, daß man Zeitgenosse dieser Begebenheiten gewesen ist.« Nichts war dramatischer als die Wirklichkeit. Die Welt war zur Bühne geworden, und die Staatsschauspieler – und was für grandiose Schauspieler! – verwöhnten ihr Publikum mit spektakulären Auftritten, die von Zeichnern festgehalten und im Druck sogleich verbreitet wurden.
    Es war die Stunde der Journalisten. Zeitungen und Zeitschriften schossen wie Pilze aus dem Boden. Man verfolgte die Ereignisse mit leidenschaftlicher Anteilnahme, fieberte nach Nachrichten, griff nur noch nach Schriften, die den »politischen Heißhunger« stillten. Paris, als Mekka der zivilisierten Welt immer schon ein Besuchermagnet, zog nun Revolutionstouristen aus aller Herren Ländern an, die meisten aus England und deutschen Landen. Vor allem die Jugend kam. Bliss was it in that dawn to be alive / But to be young was very heaven! [ 1 ] Idealisten, Utopisten, Realisten, Geschäftsleute, Spinner, Spekulanten, Spione, Sinnsucher, Katastrophen- und Sensationssüchtige, alle wollten dabeisein, wenn eine neue Zeit anbrach und die Menschheit zu einem »schönen, neuen und edlen Leben« in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erwachte. Auch wenn die Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen nicht wie die amerikanische Unabhängigkeitserklärung the pursuit of happiness  – das Streben nach Glück – als unveräußerliches, von der Natur selbst verliehenes Menschenrecht behauptete, so las man das doch als Verheißung mit. »Ich liebe die Freiheit, weil ich das Vergnügen liebe«, schrieb der deutsche Publizist Konrad Engelbert Oelsner.
    Die Fremden kamen als Zuschauer und als Mitwirkende, für ein paar Wochen oder Monate oder Jahre. Viele engagierten sich als Kosmopoliten aktiv für die Entstehung eines neuen Weltstaates, und nicht wenige strebten zugleich nach Profit, Ruhm und Macht. Manche wandten sich enttäuscht und entsetzt ab, andere blieben.
    Jeder hatte seine ganz eigene Affäre mit der Revolution und dem Land, das sie hervorgebracht hatte. Frankreich nahm die Besucher mit offenen Armen auf, jedenfalls in der ersten Zeit. Foreign Affairs ! Es gab viele illegitime Liebesbeziehungen zwischen étrangers und Einheimischen, viele Beziehungen der Ausländer auch untereinander. In der Fremde ließ es sich freier leben, der Kontrolle neugieriger Nachbarn, Bekannter, Verwandter entzogen. Alles war in Bewegung, die alten Ordnungen zerfielen, und niemand wußte, wie die Zukunft aussehen würde. Ein Ausnahmezustand, der die großen Gefühle nährte, Lebenshunger und Todesverachtung, Leidenschaft und Liebe.
    Zum ersten Mal in der Geschichte klagten Frauen öffentlich die Gleichberechtigung ein. Alternative Lebensmodelle wurden erprobt, Standesschranken überwunden, Tabus gebrochen. Ein ehemaliger Priester heiratete seine Schwester und feierte seine Hochzeit unter dem Freiheitsbaum. (Das Paar wurde verhaftet.) Familien- und Ehegesetzgebung wurden reformiert und säkularisiert. »Die Heuraten, die Geburten werden von dem Eigensinne der Eltern, und dem Rauchfasse der Priester unabhängig sein. Kein grausames Gesetz schmiedet mehr unter das Joch der Ehe freie Herzen auf lebenslang«, freute sich Oelsner, und dann prophezeite er: »Bei gleicher Verteilung der Glücksgüter wird es weniger freche Begierden, und weniger verworfene Sklaven geben.«
    Nur – können liebende Herzen überhaupt frei sein? Und wann waren Begierden frech? Jedenfalls dann, wenn Aristokraten sie hatten.
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