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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Autoren: Ursula Naumann
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keine gefährlichen Gefangenen auf die Menschheit loszulassen – man fühlt sich an das unwürdige Gerangel um die Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen erinnert –, aber das schmälert die Bedeutung dieser Verordnung kaum. Erst jetzt konnte überall in Frankreich Wirklichkeit werden, was die Erstürmung der Bastille symbolisch vorweggenommen hatte.

Liebe in Zeiten des Despotismus
    Die älteste Gesellschaft und die einzig natürliche ist die Familie. Die Familie ist also, wenn man so will, das Modell der politischen Gesellschaft. Das Oberhaupt entspricht dem Vater, das Volk den Kindern.
    Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag
 
    In London arbeitete die Dichterin Helen Maria Williams gerade an ihrem ersten (und einzigen) Roman, als die Bastille fiel. In freudiger Erregung schrieb sie diese unerhörte Begebenheit gleich in ihr Buch ein. Ein Herr von F. bringt der Titelheldin, Julia heißt sie, das Gedicht eines Bastille-Gefangenen, das als Vision vorwegnimmt, was gerade in Wirklichkeit passiert war.
 
    I feel the vital air –
    I see, I see the light of day!
    Visions of bliss, eternal powers!
    What force has shook those hated walls?
    What arm has rent those threat'ning towers?
    It falls – the guilty fabric falls! [ 3 ]
     
    Diesen Herrn von F. gab es tatsächlich, nur war er nicht der Freund des Gefangenen, sondern der Gefangene selbst. Mit ihm, mit seiner Familiengeschichte hat Helen rückblickend ihre Liebe zur Revolution beginnen lassen. »Meine ersten Empfindungen gehen auf den Moment zurück, an dem ich ein Gefühl tiefer Sympathie für eine Familie empfand, mit der ich eng verbunden bin. In London, um 1786, nicht lange vor der Revolution, wurde meiner Mutter eine französische Dame als Französischlehrerin für mich und meine Schwester empfohlen. Diese Dame und ihr Gatte, der angesehene Baron du Fossé, waren Opfer der willkürlichen und despotischen Maßnahmen geworden, die zur Zeit des Ancien régime in Frankreich erlaubt waren. Madame du Fossé bot uns eine Erzählung ihrer Leidensgeschichte. Und wer erzählt mit mehr Eloquenz als eine Französin, die Esprit und Empfindung hat?«
    Helen hat Moniques Erzählung wenig später in der ersten Folge ihrer Briefe aus Paris mindestens ebenso eloquent nacherzählt und dabei jede Gelegenheit, ihre Leser zu rühren, zu erschüttern und zu empören, lustvoll ausgekostet. Und es gab viele Gelegenheiten: treue Liebe, teuflische Ränke, bittere Not, Herzeleid. Was tatsächlich wohl ein Machtkampf zweier stolzer halsstarriger Männer war – ein Sohn, der den Vater herausforderte, ein Vater, der versuchte, den Willen des Sohnes zu brechen, und dabei die Machtmittel des Staates nutzen konnte –, hat sie resolut zur Geschichte von der verfolgten Unschuld vereinfacht und aller sozialen Konkretheit beraubt, die zur Erklärung dieses Familiendramas hätte beitragen können. So verschweigt Helen zum Beispiel, daß die du Fossés sich zum Jansenismus bekannten, einer Reformbewegung innerhalb der katholischen Kirche. Ihre Anhänger bezeichnet man gern als die Protestanten des Katholizismus, weil sie im Rückgriff auf die Lehren des Kirchenvaters Augustin und ähnlich wie Luther glaubten, daß der Mensch auseigener Kraft (zum Beispiel durch gute Werke) nichts für seine Erlösung tun könne, der göttlichen Gnadenwahl also ausgeliefert sei. Sie waren in Frankreich unter dem »Sonnenkönig« Ludwig XIV . auf Betreiben der Jesuiten erbittert bekämpft und verfolgt worden und trieben einen Kult um ihre Märtyrer. Auch der Großvater von Helens Monsieur du Fossé, Pierre Thomas du Fossé, gehörte in gewisser Hinsicht zu ihnen, denn er war seines Glaubens wegen in die Bastille gebracht und dann auf seine Güter in der Normandie verbannt worden.
    Dort, auf dem nicht weit von Rouen gelegenen Landsitz der Familie, beginnt und endet denn auch die Geschichte, die uns Helen in epischer Breite erzählt. Hier eine Fahrstuhl-Version.
    Augustin-François Thomas du Fossé, der 1750 als erstes Kind seiner Eltern geboren wird, verlebt eine unglückliche Kindheit und Jugend. Sein Vater ist ein Despot, der seine Familie tyrannisiert und von seinen Untergebenen ebenso gehaßt wird, wie er sie verachtet. »Er behauptete seine aristokratischen Rechte mit unnachgiebiger Strenge, regierte seine feudalen Besitztümer mit eiserner Faust und sah das niedere Volk als Lebewesen an, deren Existenz nur zum Nutzen der Aristokratie geduldet werden konnte. Die Armen, so glaubte er, waren nur
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