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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Autoren: Ursula Naumann
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antrafen, und bemerkten, wie diese ihr Element verließen um in der Luft Sicherheit zu suchen; so war die Anwendung auf den Menschen nur gar zu natürlich. Denn wo ist wohl ein Reich, das nicht dem brausenden Ozean gliche, und in welchem die Großen, in allem Pomp und Pracht ihrer Größe, nicht immer die Unterdrückung der Kleinern und Wehrlosen suchen sollten? Zuweilen ward das Gemälde noch weiter ausgeführt, wenn die armen Flüchtlinge auch in der Luft neue Feinde antrafen und ein Raub der Vögel wurden.«
    Als er 1793 nach Paris kam, um an einer neuen Welt mitbauen zu helfen, war er von allen verlassen, von Bekannten, Freunden und von seiner Frau, an der er gleichwohl unbeirrt festhielt. »Es ist sonderbar, meine geliebteste Therese, daß unsere eigentümliche Verhältnisse so mit den wichtigsten Angelegenheiten der Menschheit zusammenhängen«, schrieb er ihr.

Der Trojanische Krieg findet nicht statt
    Frankreich im Frühjahr 1793. Es sieht düster aus für die junge Republik. Seit Ende April bzw. Juni 1792 liegt sie im Krieg mit Österreich und seinen Verbündeten, seit Anfang des Jahres auch mit England und Holland. Das Land steht unter Waffen. In der Vendée hat ein grausamer Bruderkrieg begonnen, und auch in anderen Provinzen ist es nach der Hinrichtung des Königs zu Aufständen gekommen. Im Pariser Nationalkonvent kämpfen Girondisten und Jakobiner erbittert und lautstark um die Macht. Besucher glaubten, »in einen Tempel einzutreten, der dem Hasse geweiht ist«, oder sahen den Konvent in ein »Saturnal reißender Tiger« verwandelt. Am 13. März hält der girondistische Abgeordnete Vergniaud eine prophetische Rede: »Es steht zu befürchten, citoyens , daß die Revolution wie Saturn ihre Kinder verschlingen und letztlich nur die Tyrannis mit all ihren Übeln hervorbringen wird.« Anarchie droht. Im Namen der Freiheit wird geplündert, gestohlen, denunziert, gemordet. Das Volk hungert. Lebensmittel sind knapp und teuer. Und doch – »Ich begreife die Sorglosigkeit der Pariser nicht«, schreibt Oelsner. »Mit dem ersten schönen Tage kommen sogleich wieder prächtige Karossen zum Vorschein; die Schauspielhäuser sind gedrängt voll; das neue Ballett von Gardel (Le jugement du berger Paris) umgeben entzückte Augen; man tanzt am Rande des Kraters.«
    Jede Kunst hat ihre goldene Zeit. Das spätere 18. Jahrhundert stand im Zeichen des Tanzes. Man entwickelte neue Konzepte, Formen und Figuren – die Pirouette zum Beispiel – und schuf Inszenierungen, die Musik, Bewegung und Ausstattung zu einem Gesamtkunstwerk verbanden.
    Pierre Gardel, seit 1787 maître de ballet an der Pariser Oper, war ein Meister seines Faches. Seine Fassung des Balletts Psyche , uraufgeführt im Dezember 1790, wurde als »Muster an Geschmack und Perfektion« gepriesen, als vielleicht »zauberhaftestes Schauspiel, das je auf einer Bühne erschienen war«. Im Bunde mit dem Zeitgeist hatte Gardel danach Revolutions-Agitprop-Opern inszeniert, im Herbst 1792 etwa L'offrande à la Liberté [Die Opfergabe für die Freiheit]. Am Ende hörte man Glockengeläute und Kanonenschüsse, Waffen wurden verteilt und geschwenkt, und das ganze Ensemble stimmte die Marseillaise an:
 
    Aux armes, citoyens!
    Formez vos bataillons ,
    Marchons, marchons!
    Qu'un sang impur
    Abreuve nos sillons. [ 2 ]
     
    Die blutrünstige Hymne der Revolution wurde auch im getanzten Triomphe de la République reichlich eingesetzt, im Januar 1793, sechs Tage nach der Hinrichtung des Königs.
    Doch dann greift Gardel mit seiner nächsten Produktion, dem Urteil des Paris , wieder einen mythologischen Stoff auf, der auch schon Jahrzehnte früher Choreographen inspiriert hatte. Angesichts der politischen Lage eine überraschende Wahl. War das wieder ein Beispiel für den sprichwörtlichen französischen Leichtsinn, eben ein Tanz am Rande des Kraters?
    Wenn Gardel die klassische Fassung der Sage auf die Bühne gebracht hätte, hätte Oelsner mit seiner Einschätzung recht gehabt. Sie erzählt, wie die trojanische Königin Hekuba, gewarnt durch einen unheilverkündenden Traum, ihren neugeborenen Sohn Paris am Berg Ida in der Wildnis aussetzen läßt, wie das Kind von ihrem Diener Argileus gerettet und in ländlicher Abgeschiedenheit als Sohn aufgezogen wird, wie Paris als Hirte die Herden seines Adoptivvaters hütet, bis Zeus ihn zum Schiedsrichter in einer von Eris, der Göttin der Zwietracht, angezettelten Schönheitskonkurrenz zwischen den Göttinnen Hera (Juno), Pallas
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