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Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
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Strafen für archaische Racheengel zu erwirken. Kaum vorstellbar, denn während des ganzen Gesprächs hatte sie zwar aufmerksam zugehört, jedoch so gut wie keinmal den Mund aufgemacht. Die drei Worte, die sie an Wencke gerichtet hatte, lauteten »Für alle Fälle« und waren gefallen, als sie ihr die Visitenkarte zugesteckt hatte.
    »Dauernd hat Frau Yıldırım auf mich eingeredet. Es wäre nicht meine Idee gewesen, aber als junger Kurde sei man in der Familie ja einem solchen Druck ausgesetzt, dass ich nicht anders hätte entscheiden können. Der Richter hat ihr das geglaubt, und deswegen sind es für mich auch nur knapp drei Jahre geworden.«
    Wencke erinnerte sich an den freundlichen Blick, den Armanc Mêrdîn seiner Verteidigerin zugeworfen hatte.
    »Aber ich sehe das nicht so. Vor dem Gericht und Frau Yıldırım habe ich immer wiederholt, was ich Ihnen jetzt auch sage: Es gibt nur zwei Dinge, die ich bereue. Erstens, dass meine kleine Nichte Roza in die Sache mit reingezogen und schwer verletzt wurde. Und zweitens, dass es mir nicht gelungen ist, Shirin zu töten. Dafür schäme ich mich. Ich habe meiner Familie noch mehr Schande gemacht.«
    Man konnte hören, dass der junge Mann mit den Tränen kämpfte. Seine Stimme quälte sich durch die Sätze. Fast mitleiderregend.Man hörte den Stuhl der Verteidigerin über den Boden schieben, denn in dem Moment war sie aufgestanden, wohl, um den letzten Satz zu verhindern.
    »Ich schwöre, wenn ich meine Fehler wiedergutmachen kann, ich werde es tun!«

… Rose   …
    Selbst wenn sie schläft, sieht sie schuldig aus.
    Heute Nacht ist es warm, ungewöhnlich warm für September in diesen Breitengraden. Die Bettdecke liegt neben ihrem Körper. Das Nachthemd aus schwarzem Satin, die linke Brust sieht aus, als wäre sie aus dem Stoff herausgerutscht. Der Hof um die Warze ist weich wie ein Kissen, dunkelbraune, makellose Samthaut wie geschmolzen. Die Beine sind leicht gespreizt, eines ein Stück weit angewinkelt, das andere ausgestreckt. Entblättert wie eine Rose. Diese Blöße kann kein Versehen sein. Alles, was sie tut, geschieht mit Absicht. Aus Schamlosigkeit.
    Sogar im Schlaf.
    Die Gardine bläht sich leicht im Wind, der durch den Spalt im Fenster ins Zimmer zieht, weil die Tür geöffnet wurde. Draußen fahren Autos vorbei. Immer, Tag und Nacht. Das graue Musizieren der Motoren nimmt kein Ende.
    Sie hat sich bei dem Lärm einen tiefen Schlaf angewöhnt.
    Die Tücher sind angenehm kühl und glatt. Vier verschiedene Farben und Muster, die dazu gemacht sind, das Haupt einer Frau zu schmücken. Blumenranken und Punkte und Karos und Streifen. Neunzig mal neunzig Zentimeter. Diagonal gelegt sind sie mehr als einen Meter lang. Das reicht für einen festen Knoten.
    Erst wird der Stoff um das Bettgestell geschlungen, oben und unten. Die losen Enden bilden eine Schlaufe, die sich zuzieht, wenn man daran rüttelt. Das linke Bein, der rechte Arm.
    Dann wacht sie auf. Merkt aber nicht, dass sie gefesselt ist,murmelt nur, richtig bei Verstand ist sie wohl kaum. Das kann sie gar nicht sein. Das Zeug in ihrem Abendtee breitet einen Nebel im Kopf aus, der wie taub und blind macht, der die Zunge lähmt und mit Müdigkeit einlullt. Sie öffnet die Augen und lächelt. Freut sich wohl über den Besuch in ihrem Schlafzimmer.
    Sie heißt jeden willkommen in ihrem Bett.
    Das rechte Bein. Jetzt hat sie keine Chance mehr. Je mehr sie sich zu befreien versucht, desto fester werden die Fesseln. Der linke Arm.
    Das war’s.

2.
    Ein Mann, der an einer evangelischen Bildungsstätte unterrichtet und sich in einem Multikulturverein engagiert, hat selbstverständlich fusseliges blondes Haar, ist schlank bis schlaksig und fährt einen dunkelblauen Skoda mit weißem Kotflügel rechts, weil er einmal jemandem die Vorfahrt genommen hat. Klischee?
    Dann lieferte Peer Wasmuth, Mitte vierzig, die Vorlage par excellence für dieses Klischee. Er kroch mit sechzig über die Landstraße, wo hundert erlaubt waren. Doch sobald es eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Strecke zwischen Hannover und Wunstorf gab, drückte er das Gaspedal durch, sodass das kleine Kreuz am Rückspiegel mächtig zu schaukeln begann.
    Er brachte Wencke an diesem Vormittag zu ihrem Termin. Da er nur eine Dreiviertelstelle hatte, war es ihm möglich, seinen freien Tag zu opfern, damit das Gespräch mit Shirin Talabani stattfinden konnte. Er sah sich als eine Art Vermittlerzwischen der Kurdin und den Behörden, sprach deren Sprache,
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