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Die fünfhundert Millionen der Begum

Die fünfhundert Millionen der Begum

Titel: Die fünfhundert Millionen der Begum
Autoren: Jules Verne
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Erstes Capitel.
In dem Mr. Sharp sich bei dem Leser einführt.
    »Diese englischen Zeitungen leisten doch wirklich alles Mögliche!« sprach der wackere Doctor so für sich hin, während er sich’s in dem großen, lederüberzogenen Lehnstuhle bequem machte.
    Doctor Sarrasin liebte den Monolog von jeher als eine Art Zerstreuung.
    Er war ein Mann von fünfzig Jahren, mit seinen Zügen, lebhaften, durch die Stahlbrille hervorblitzenden Augen und ernster, doch liebenswürdiger Physiognomie, kurz, er gehörte zu den Leuten, bei deren ersten Anblick man sich sagt: Das ist ein braver Mann! Auch in heutiger früher Morgenstunde zeigte sich der Doctor, ohne daß seine Erscheinung etwas Gesuchtes verrieth, schon frisch rasirt und mit blendend weißer Cravatte.
    In seinem Hôtelzimmer zu Brighton lagen da und dort die »Times«, der »Daily Telegraph« und die »Daily News« ausgebreitet. Es schlug eben zehn Uhr, doch hatte der Doctor schon Zeit gefunden, einen Weg in die Stadt zu machen, ein Krankenhaus zu besuchen und, nach seinem Hôtel zurückgekehrt, in den wichtigsten Tagesblättern Londons den ausführlichen Bericht über eine Denkschrift zu lesen, die er erst vorgestern dem großen internationalen hygienischen Congresse vorgelegt hatte und welche einen von ihm erfundenen »Blutkügelchen-Zähler« betraf.
    Auf einem mit sauberer Serviette überdeckten Theebrette standen vor ihm ein schwach gebratenes Cotelette, eine Tasse dampfenden Thees und mehrere delicate Röstschnittchen, welche die englischen Köchinnen so vorzüglich zubereiten, weil ihnen die Bäcker dazu eine besondere Sorte kleiner Brote liefern.
    »Ja, ja, wiederholte er, die Zeitungen des Vereinigten Königreichs leisten wirklich alles Mögliche, das ist nicht zu leugnen!…. Der Speech des Vicepräsidenten, die Antwort des Doctor Cigogna aus Neapel, die Darlegung aus meiner Denkschrift – Alles ist im Fluge, auf frischer That erfaßt, photographirt möcht’ ich’s nennen.
    – Doctor Sarrasin aus Douai hat das Wort. Das ehrenwerthe Mitglied des Congresses spricht französisch. »Die verehrten Zuhörer werden entschuldigen, beginnt er, daß ich mir diese Freiheit nehme; Sie verstehen aber jedenfalls Alle meine Muttersprache besser, als ich mich in der ihrigen auszudrücken vermöchte….
    – Fünf Spalten kleiner Schrift!…. Ich weiß nicht, ob der Bericht der »Times« den Vorzug verdient, oder der im »Telegraph«…. zuverlässiger und eingehender kann man eben nicht referiren!….«
    Hier stand Doctor Sarrasin eben in seinem Gedankengange, als der Ceremonienmeister in höchsteigener Person – einen geringeren Titel würde man der untadelhaft schwarzgekleideten Persönlichkeit kaum beizulegen wagen – an die Thür klopfte und anfragte, ob, »Monsion« zu sprechen sei….
    »Monsion« ist eine beliebte Allgemeinbezeichnung bei den Engländern, welche sie instinctiv allen Franzosen gegenüber gebrauchen, so wie sie gegen alle Regeln des Anstandes zu verstoßen fürchten würden, wenn sie einen Italiener nicht mit »Signor« und einen Deutschen nicht mit »Herr« anredeten. Gewiß hat diese durchgängig eingebürgerte Gewohnheit mindestens den Vortheil, die Nationalität der Leute gleich von vornherein kenntlich zu machen.
    Doctor Sarrasin hatte die ihm überreichte Karte in der Hand. Erstaunte er überhaupt schon darüber, in einem Lande, wo er keinen Menschen kannte, Besuch zu erhalten, so war das noch mehr der Fall, als er auf dem kleinen, länglich viereckigen Kärtchen las:
     
    »Mr. Sharp, Sollicitor,
    93 Southampton row,
    London.«
     
    Er wußte, daß ein »Sollicitor« der einheimische englische Anwalt war, oder vielmehr ein Bastard-Rechtsbeflissener, ein Zwischending zwischen Kanzleianwalt und Advocat, etwa der frühere Procurator.
    »Was zum Teufel kann ich mit diesem Mr. Sharp zu schaffen haben? fragte er sich selbst. Sollte ich mich unbewußter Weise vergangen haben?…. Sind Sie sicher, daß diese Karte mir gilt?
    – O, yes, Monsion.
    – Gut, lassen Sie den Herrn eintreten.«
    Der Ceremonienmeister öffnete die Thüre einem noch jungen Manne, den der Doctor auf den ersten Blick als Angehörigen der großen Familie der, Todtenköpfe« erkannte. Seine dünnen, oder vielmehr vertrockneten Lippen, die langen weißen Zähne, die unter der pergamentartig durchschimmernden Haut fast offen liegenden Schläfengruben, der mumienhafte Teint und die kleinen Augen mit ihrem wahrhaft stechenden Blicke versetzten ihn unzweifelhaft in die Classe
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