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Banditenliebe

Banditenliebe

Titel: Banditenliebe
Autoren: Massimo Carlotto
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Dienstag, 31. Oktober 2006
    Zum dritten Mal ging der Fremde am Schaufenster des eleganten Damen-Friseursalons vorbei. Die Frau saß mit den Schultern zum Spiegel; sie wählte gerade einen Nagellack aus und nickte zerstreut zu den Ratschlägen der Kosmetikerin, während ein Mann in den Fünfzigern sie mit routinierten, präzisen Bewegungen kämmte.
    Der Fremde entfernte sich ein wenig; bald würde sie herauskommen. Seit genau einer Woche verfolgte er die Frau und hatte beschlossen, dass heute der richtige Tag sei. Er schlug den Kragen seines dunklen Mantels hoch, blieb vor dem Schaufenster eines Antiquitätenhändlers stehen und bewunderte einige Möbel, vor allem einen venezianischen Tisch aus der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts.
    Der Inhaber des Ladens rückte ein Gemälde zurecht, das eine alte Adlige zeigte, und bedachte ihn mit einem Lächeln, in der Hoffnung, ihn ins Geschäft zu locken. Der Fremde senkte den Kopf; die Bewegung wirkte unwillkürlich, nicht von der Notwendigkeit diktiert, unerkannt zu bleiben. Er tat so, als interessiere er sich für eine Tischlampe, dann wandte er sich ab und ging weiter.
    Er war unbesorgt. Der Händler hatte gar nicht genug Zeit gehabt, sich sein Gesicht einzuprägen, und die Erfahrung lehrte, dass Zeugen in der Regel unzuverlässig sind. Vor allem aber fühlte er sich ungefährdet, weil er in dieser Gegend unbekannt war und sie in spätestens einer Stunde für immer verlassen würde.
    Er schlenderte weiter unter den Arkaden entlang, betrachtete die Auslagen der Boutiquen und überlegte, wo die Frau noch hineinschauen könnte, bevor sie wieder nach Hause fuhr. Sie wohnte in einem nahen Dorf, und der Fremde begriff sofort, warum sie gezwungen war, in die Stadt zu fahren, um zum Friseur zu gehen. Das Dorf lag am Meer. Die Fischer und deren Familien lebten dort, aber die meisten Läden waren jetzt, Ende Oktober, da keine Touristen mehr kamen, geschlossen; die wenigen Geschäfte, deren Rollgitter noch hochgingen, waren ganz gewiss nichts für eine Frau ihrer Klasse.
    Werktag, mitten am Nachmittag, winterliches Dunkel, wenige Leute auf der Straße … Noch einmal ließ sich der Fremde die Arbeitsbedingungen durch den Kopf gehen und klopfte leise an die Karosserie eines weißen Lieferwagens. Bevor er einstieg, warf er noch einen kurzen Blick auf den kleinen, eleganten Wagen, der direkt daneben parkte.
    »Ich glaube, gleich ist es so weit«, teilte er den beiden Männern mit, die auf einigen Kisten im Laderaum saßen.
    Keiner der beiden zuckte mit einem Muskel oder ließ einen Laut hören. Sie waren Profis, Mutmaßungen interessierten sie nicht. Sie waren seit geraumer Zeit bereit und würden das auch bleiben, bis der Auftrag erledigt war. Der Fremde kannte sie gut, sie waren seine besten Handlanger. Früher, bei der Armee, hatten sie auch andere Qualitäten gezeigt, jetzt waren sie nur noch zwei getreue Gorillas, gelegentlich auch geschickte Auftragskiller.
    Der Lichtschein einer nahen Straßenlaterne sickerte durch das Papier, mit dem die Scheiben der rückwärtigen Tür verklebt waren. Der Fremde blickte auf die Hände seiner Mitarbeiter; sie steckten in Latexhandschuhen, die in diesem Zwielicht geisterhaft weiß waren. Seine eigenen Handschuhe waren aus weichem, dünnem Leder. Keiner von ihnen konnte es sich erlauben, Fingerabdrücke zu hinterlassen, und das würde auch nicht geschehen. Der Lieferwagen würde weit weg fahren, in eine sichere Gegend, aber abfackeln würden sie ihn doch, um den Ermittlern auch nicht die kleinste Faser oder biologische Spur zu hinterlassen.
    Dem Fremden war zwar klar, dass diese Vorsichtsmaßnahmen übertrieben waren, doch wusste er zu wenig von den Umständen, die ihn in dieses Dorf im Nordosten Italiens gebracht hatten, um unvorsichtig zu sein. Man hatte ihn kontaktiert und großzügig bezahlt, damit er sich um die Frau kümmerte. Ein Vertrag wie sonst auch. Nichts Kompliziertes, aber dass er heil und unversehrt aus einem Bürgerkrieg herausgekommen war und bis jetzt überlebt hatte, lag daran, dass er immer auf die Details geachtet hatte.
    Seufzend machte er es sich bequem.
    Ohne ihr Geplauder mit der Kosmetikerin zu unterbrechen, ging die Frau zur Kasse. Der Friseur schaute ihr zum x-ten Mal auf den Hintern. Nicht nur, dass er schön war, sie bewegte ihn auch noch perfekt. Der Blick entging seiner Frau nicht, die gerade eine andere Kundin fönte und sich bereits auf die giftige Bemerkung freute, die sie ihm zuzischen würde, sobald
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